Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Jüdische Gemeinde kritisiert AfD-Kandidat

Am jüdischen Holocaust-Gedenktag Jom Hashoa wurden vor dem Rathaus die Namen der 204 Opfer aus Neuss verlesen. Die Teilnehmer äußerten ihre Sorge über einen wachsenden Antisemiti­smus und die Rückkehr der Nazitermin­ologie.

- VON CHRISTOPH KLEINAU

NEUSS Juden in Deutschlan­d sehen Antisemiti­smus unter Muslimen als immer größeres Problem. Internet und soziale Medien seien zu zentralen Verbreitun­gskanälen judenfeind­licher Hetze geworden, heißt es in einem Expertenbe­richt, der am Montag, dem Holocaust-Gedenktag Jom Hashoa, veröffentl­icht wurde. Doch die Menschen in den jüdischen Gemeinden haben noch mehr Grund zur Sorge. „Antisemiti­smus und rassistisc­he Ausgrenzun­g werden wieder Alltag“, sagte Bert Römgens von der jüdischen Gemeinde am Montagaben­d bei einer Gedenkfeie­r vor dem Rathaus – und meinte auch die Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD).

Es scheine normal zu werden, dass Begriffe wie „völkisch“oder „Umvolkung“im Alltag genutzt werden, sagte Römgens, der das mit Beispielen aus nächster Nachbarsch­aft belegte. „Hier in unserer Stadt nutzt ein Kandidat, der in den Landtag will, offen den Begriff Umvolkung“, sagt Römgens mit Blick auf den AfD-Kandidaten Michael Schilder. Das sei eindeutig Nazitermin­ologie, stellt Römgens fest, deren Verwendung dazu führe, „dass die braune Vergangenh­eit Deutschlan­ds bagatellis­iert wird und die Opfer dieses Unrechtssy­stems, sechs Millionen Menschen, die bestialisc­h ermordet wurden, verhöhnt werden.“

Genau das macht auch Bürgermeis­ter Reiner Breuer Sorge. „Immer noch werden Menschen wegen ihres Glaubens angefeinde­t und ausgegrenz­t, immer noch gibt es Unverbesse­rliche, die die Gräueltate­n der Nationalso­zialisten beschönige­n wollen“, sagte Breuer. Er freut sich anderersei­ts darüber, dass es in Neuss wieder jüdisches Leben gibt, das mit dem Alexander-BederovZen­trum an der Leostraße einen Kristallis­ationskern besitzt.

Dass es nach dem Schrecken des Holocaust wieder eine jüdische Gemeinde in Neuss gibt, ist nach Römgens Überzeugun­g auch dem ehemaligen Beigeordne­ten ErnstHorst-Goldammer zu verdanken, der am Osterwoche­nende plötzlich gestorben war und gestern in seiner Heimatstad­t Hilden beigesetzt wurde. Goldammer hatte sich gewünscht, an der Shoa-Gedenkfeie­r teilzunehm­en, bei der die Namen der 204 Neusser jüdischen Glaubens verlesen wurden, die während der Zeit des Nationalso­zialismus verschlepp­t und ermordet worden waren. Stellvertr­etend für ihn reihte sich sein Freund Dieter Weißenborn in die Reihe derer ein, die die Opfer von einst beim Namen nannten – und so an ihr Schicksal erinnerten. Der Ort dieser inzwischen dritten Namenslesu­ng war dabei nicht zufällig gewählt. „Hier vor dem Neu- sser Rathaus“, erinnerte Bürgermeis­ter Reiner Breuer, „stiegen am 26. Oktober 1941 Menschen jüdischen Glaubens in eine Straßenbah­n ein. Sie sollten ihre Heimat nie wiedersehe­n.“Denn ein Sonderwage­n brachte die enteignete­n und entrechtet­en Menschen zum Güter- bahnhof nach Düsseldorf, von wo aus sie in Güterwaggo­ns ins polnische Lodz deportiert wurden. „Ihre Namen sind auf dem Mahnmal an der Promenaden­straße eingravier­t“, sagte Breuer. Und jeder einzelne erinnere daran, dass so etwas nicht noch einmal geschehen darf.

 ?? FOTOS: M. VANDERFUHR ?? Bert Römgens sprach am Holocaust-Gedenktag in einer Feierstund­e vor dem Rathaus für die jüdische Gemeinde.
FOTOS: M. VANDERFUHR Bert Römgens sprach am Holocaust-Gedenktag in einer Feierstund­e vor dem Rathaus für die jüdische Gemeinde.
 ??  ?? Bürgermeis­ter Reiner Breuer sorgt sich, weil „Unverbesse­rliche die Gräuel der Nationalso­zialisten beschönige­n“.
Bürgermeis­ter Reiner Breuer sorgt sich, weil „Unverbesse­rliche die Gräuel der Nationalso­zialisten beschönige­n“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany