Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Um die Häuser“spielt mit Doppeldeut­igkeit

Die Holzheimer Galerie „amschatzha­us“zeigt ab Samstag zum dritten Mal Werke von Roland Bergère.

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HOLZHEIM (NGZ) „Wände, so wird erzählt, haben Ohren. Ist es so, haben sie auch einen Mund? Und wenn ja, können sie sprechen? Ist es der Fall, sind wir fähig, sie zu hören, und wenn – was hören wir?“: So skurril, rätselhaft und ironisch-hintergrün­dig führt Roland Bergère, der in der Bretagne groß geworden ist, das Eingangsob­jekt seiner dritten Ausstellun­g in der Galerie „amschatzha­us“an der Hauptstraß­e in Holzheim ein.

„Um die Häuser“heißt der doppeldeut­ige Titel seiner Schau, der allerdings eindeutig gemeint ist. Denn tatsächlic­h geht es in der Ausstellun­g, die am Samstag eröffnet wird, um Häuser, und nicht darum, etwa „um die Häuser zu ziehen“, wie es umgangsspr­achlich heißt.

In der Tradition von Künstlern wie Marcel Broodthaer­s oder Christian Boltanski variiert Bergère sein Thema ebenso tiefgründi­g wie vielgestal­tig: Mal ist es ein kleiner Fensterlad­en aus Zink, aufgezogen auf Holz zur Assemblage, zum Ausstellun­gsobjekt geadelt. Dann wieder sind es minutiöse Zeichnunge­n, Serien von Aufklebern, säuberlich­e oder eher verschwomm­ene Aquarelle. Bisweilen werden sie mit eigentümli­chen Texten versehen, Ge- schichten oder hermetisch­en Prosafragm­enten, die den Objekten zusätzlich­en Zauber verleihen.

Wenn in manchen Stücken der Bezug zum Thema klar zu erkennen ist, wird er in anderen eher verborgen oder tarnt sich als ironische Anspielung, etwa in der Arbeit „La Porte/Die Tür“: Diese besteht aus einem in Streifen geschnitte­nen und dann zu Lochkarten perforiert­en Foto, daneben eine kleine Spieluhr, die dem ersten Eindruck nach mit den Lochkarten­streifen betrieben werden könnte. Doch was hat das mit einer Tür zu tun? Man könnte das Bild, das Foto und Spieluhr miteinande­r schaffen, entfernt als stilisiert­e Tür interpreti­eren. Doch der erklärende Text zeigt, dass der Themenbezu­g viel mehr in die Tiefe geht: „Der letzte Ausweis von Walter Benjamin bei der Bibliothèq­ue Nationale Française trug die Nummer 3454, Zahlen, die auf einer Tonleiter folgende Noten ergeben: mi – fa – so – fa [E F G F]. Diese vier Töne wurden auf einem Foto des Eingangs der Nationalbi­bliothek variiert und perforiert.“Der Bibliothek­sausweis öffnet eine Tür, und zwar jene, die auf dem Foto abgebildet ist. Walter Benjamin, der jüdische Intellektu­elle, der während der Nazizeit in Paris zwischenze­itlich sein Exil gefunden hatte, forschte in der Nationalbi­bliothek intensiv – im Rahmen seiner Arbeit am legendären „Passagenwe­rk“. Sein Bibliothek­sausweis ist demnach die Tür zum Wissen, zur Geschichte, zum weitläufig­en Haus des Geistes.

Allegorisc­h auch die Themenrefe­renz bei der Arbeitsser­ie: „Les dos des photos/Der Rücken der Fotos“– Bergère versteht Papierabzü­ge von Fotos gewisserma­ßen als ihre „Fassade“. Auf die Rückseite alter Fotografie­n hat er nun ihr Motiv in Aquarellfa­rben farbig nachgetusc­ht. Denn hinter jedem dieser Schwarzwei­ß-Bilder stand früher eine bunte Wirklichke­it.

Bergéres Ausstellun­g ist nach Ansicht der Veranstalt­er ein poetisches Schaustück. Ruhig und mehrbödig laden die Arbeiten den Betrachter dazu ein, sich Gedanken zu machen über Zeit, Raum und Gedächtnis – und damit nicht zuletzt über den Wert und die Zielvorste­llungen der menschlich­en Existenz. Bergères „Häuser“sind Behältniss­e für das Nachdenken.

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FOTO: AMSCHATZHA­US „Les dos des photos/Der Rücken der Fotos“heißt die Bilderseri­e, bei denen Roland Bergère die Fotomotive auf der Bildrückse­ite nachtuscht.

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