Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Als Geerlings und Jansen die Politik entdeckten

Jörg Geerlings (CDU) und Arno Jansen (SPD) traten in den 90er Jahren in ihre Parteien ein. Das Jahrzehnt hat sie geprägt. Eine Spurensuch­e.

- VON ANDREAS BUCHBAUER

NEUSS Pulp Fiction. Es gibt nicht viele Dinge, auf die sich die beiden Landtagska­ndidaten Jörg Geerlings (44, CDU) und Arno Jansen (43, SPD) so schnell einigen können wie auf den Kultfilm von Quentin Tarantino. Jansen hebt sofort an und zitiert aus dem Werk von 1994, es ist das von Tarantino ziemlich frei erfundene Bibel-Zitat nach Hesekiel 25,17. „Ich habe den Film x-mal gesehen und kann ihn fast auswendig“, erklärt Jansen. Auch Geerlings hat nicht mitgezählt, wie häufig er Pulp Fiction gesehen hat. „Ganz oft“, sagt er. „Auf Video.“

Pulp Fiction, Tarantino, Video – das sind drei Schlagwort­e, die unweigerli­ch in jene Zeit zurückführ­en, in der das politische Leben von Jörg Geerlings und Arno Jansen so richtig beginnt: die 1990er Jahre. Wer dem politische­n Weg der Kandidaten nachspüren möchte, der muss dort ansetzen. Damals haben sie ihre Begeisteru­ng für die Politik entdeckt – und dafür, an Lösungen für das Gemeinwohl mitzuwirke­n.

Aber ohne Popkultur lassen sich die 1990er Jahre nicht verstehen. Durch Berlin zog die Loveparade. 1994 erschien die erste Playstatio­n. Aber vor allem: Tarantino mischte das Kino auf, bunt, schrill, grotesk, mit schwarzem Humor. Und in Seattle setzte eine ganze Riege junger Bands zum Sprung vom Probenraum auf die großen Konzertbüh­nen an: die Grungebewe­gung. Nirvana, Pearl Jam, Soundgarde­n. Smells Like Teen Spirit.

Arno Jansen erinnert sich noch genau, als er seine erste Kassette mit Songs von Nirvana hörte. Er habe sie auf der Berufsschu­le von einem Freund bekommen. Als er sie zu Hause einlegte, habe er nur noch einen Gedanken gehabt: „Sensatione­ll.“Aber auch BAP, Grönemeyer, Westernhag­en, Die Ärzte, Die Toten Hosen und Rage Against The Machine hatten es ihm angetan. Es war der typische Soundtrack, damals im Partykelle­r. „Die Bravo-Hits hat man ja eher nicht gehört“, sagt Jörg Geerlings. „Da waren immer nur ein paar Songs drauf, die vielleicht ganz okay waren.“Er hat heute noch alte Schallplat­ten aus seiner Jugend zu Hause: U2, die Red Hot Chili Peppers, Marillion und Depeche Mode zum Beispiel.

Die Rockmusik und das Kino verhandeln und spiegeln den Zustand der Gesellscha­ft. Vor allem aber: Sie suchen neue Wege, neue Formen. Und die 1990er Jahre waren ein Jahrzehnt für Suchende.

Deutschlan­d war im Wandel. In die neue Dekade ist das Land im Freudentau­mel getanzt: Fußball-Weltmeiste­r, Wiedervere­inigung. Doch keine Feier ohne Katerstimm­ung. Die wirtschaft­lichen Probleme wuchsen, die „blühenden Landschaft­en“blühten nicht. „Es gab ökonomisch­e und gesellscha­ftliche Umbrüche“, sagt Geerlings. Als die Mauer fiel, hätten alle gedacht: Jetzt kommt Frieden. Aber es kamen eben auch neue Herausford­erungen.

Geerlings ist seit 1998 CDU-Mitglied, bis 2002 war er Vorsitzend­er der Jungen Union. Die CDU-Granden von einst haben ihn geprägt: Helmut Kohl, Heiner Geißler, Norbert Blüm, Rita Süssmuth. „Ich war auch vorher politisch interessie­rt, die CDU war meine Partei. Zur Jungen Union bin ich dann über einen Freund während des Studiums gekommen.“Schon bald war Geerlings Feuer und Flamme für die Politik. Seit 2004 sitzt er im Stadtrat, seit 2005 ist er Vorsitzend­er der CDU in Neuss. Von 2010 bis 2012 saß er im Landtag. Dorthin will er zurück. Allerdings kassierte er bei der Landtagswa­hl 2012 seine bitterste politische Niederlage: Er unterlag gegen den SPD-Kandidaten und heutigen Bürgermeis­ter Reiner Breuer.

Ihn kennt Jansen seit den frühen 90ern. Über Schulfreun­de war Jansen bei den Jusos gelandet, 1991 trat er der SPD bei. „Das war eine bunte, quirlige Truppe – unter anderem mit Reiner Breuer.“Gemeinsam wurden Lösungen für Probleme gesucht, zum Beispiel im Kampf gegen aufkeimend­en Rechtsextr­emismus. Schnell merkte Jansen, dass er bei der SPD richtig war. Er entdeckte seine Leidenscha­ft für die Politik, geprägt haben ihn neben Willy Brandt zum Beispiel Hans-Jochen Vogel und Franz Münteferin­g. Jansen hatte Lust mitzugesta­lten, und Mitgestalt­ung fängt im Lokalen an. 1999 zog er in den Stadtrat ein, seit 2014 ist er Fraktionsc­hef. Sein Steckenpfe­rd: Haushalts- und Finanzthem­en – eine Parallele zu Jörg Geerlings. Der CDUMann ist Vorsitzend­er des Finanzauss­chusses, Jansen finanzpoli­tischer Sprecher der SPD.

Bei der Wahl am 14. Mai stehen sich die beiden als Kontrahent­en gegenüber, die sich seit den 1990er Jahren kennen. Zwei, die in diesem Jahrzehnt für Suchende aufbrachen und ihre Bestimmung gefunden haben: in der Politik.

Die 1990er Jahre waren eine Zäsur – der Kalte Krieg war vorbei. Es gab neue Herausford­erungen Nicht nur die Politik, auch die Popkultur war prägend. Es war ein Jahrzehnt des Umschwungs

Newspapers in German

Newspapers from Germany