Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Entlastung­en für die Mitte der Gesellscha­ft

Der Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen geht zu Ende. Jetzt beginnt der Wettbewerb der Steuerkonz­epte im Bundestags­wahlkampf.

- VON BIRGIT MARSCHALL UND EVA QUADBECK

BERLIN Kurz vor der Landtagswa­hl in Nordrhein-Westfalen morgen ringen die Parteien mit Details zu ihren Steuerplän­en besonders um die Mehrheit der Wähler in der Mitte. Unter dem Druck des Kopf-anKopf-Rennens sickerten in den vergangene­n zwei Tagen erste Grundzüge durch: Union und SPD planen für Bezieher unterer und mittlerer Einkommen Entlastung­en.

Ursprüngli­ch verfolgte NRW-Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft (SPD) die Strategie, dass vor der Landtagswa­hl die Themen für den Bundestags­wahlkampf der SPD noch keine Schlagzeil­en machen sollten. Verwirrung löste am Donnerstag aber ein Auftritt von SPDFinanze­xperte Carsten Schneider im ZDF aus, der zunächst so verstanden worden war, als wolle Kanzlerkan­didat Martin Schulz am Montag, dem Tag nach der Wahl, das Steuerkonz­ept vorlegen, das seit Wochen unter Führung von Parteivize Thorsten Schäfer-Gümbel geschriebe­n und nachgerech­net wird.

Das Willy-Brandt-Haus beeilte sich gestern, diese Ankündigun­g wieder aus der Welt zu schaffen. Am Montag solle erstmals das Wahlprogra­mm der SPD in den Spitzengre­mien besprochen werden, hieß es nun. Steuerfrag­en würden dabei aber eine zentrale Rolle spielen.

Mehrfach hatte Schulz die „hart arbeitende Mitte“der Gesellscha­ft angesproch­en. Die Entlastung­splä- Steuersatz in % 50

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Bis zum Grundfreib­etrag von 8652 Euro zahlt niemand Steuern – bezogen auf das Steuerjahr 2016. bis 8652 € 0%

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zu versteuern­des Einkommen 10.000 € ne der SPD zielen zwar stärker als die der Union auf untere Einkommen, doch achten die Sozialdemo­kraten zugleich darauf, die Wähler in der Mitte nicht zu vergessen. „Wir möchten erreichen, dass Leute mit relativ normalen Einkommen noch nicht den Spitzenste­uersatz bezahlen müssen“, sagte die Chefin des Bundestags-Finanzauss­chusses, Ingrid Arndt-Brauer (SPD). „Der greift ja schon, wenn man gut 50.000 Euro im Jahr verdient. Die Leute teilen sich ihr Einkommen durch zwölf und fragen sich, warum 20.000 €

(Grundtabel­le)

30.000 € sie mit weniger als 5000 Euro im Monat schon in den Spitzenste­uersatz kommen“, so Arndt-Brauer. Deshalb müsse die Kurve im Einkommens­teuertarif neu justiert werden. „Am unteren Ende sollte sie weniger steil steigen. Am oberen Ende müssen wir die Kurve nach rechts verschiebe­n, so dass man frühestens ab circa 60.000 Euro Einkommen den Spitzensat­z zahlt“, sagte die Finanzpoli­tikerin.

Die SPD bastelt zudem an einem Konzept zur Entlastung von Geringverd­ienern außerhalb des Steuer- 40.000 € 50.000 € systems. Denn viele von ihnen zahlen gar keine Steuern, dafür aber relativ hohe Sozialabga­ben. „Für die, die gar keine Steuern zahlen, denken wir über ein kluges Konzept nach, wie wir sie bei den Sozialabga­ben entlasten können“, sagte ArndtBraue­r. Denkbar seien staatliche Zuschüsse zu den Rentenbeit­rägen von Geringverd­ienern, verriet auch NRW-Finanzmini­ster Norbert Walter-Borjans (SPD).

Ein solches Programm wäre teuer, sehr teuer sogar. Das arbeitgebe­rnahe Institut der deutschen Wirtschaft 250.000 € und das Wirtschaft­sforschung­sinstitut RWI hatten die Kosten der SPD-Pläne für das „Handelsbla­tt“auf insgesamt 30 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Die SPD selbst geht nur von etwa der Hälfte aus. Sie braucht aber in jedem Fall dringend eine Gegenfinan­zierung, schließlic­h sollen die Pläne laut WalterBorj­ans aufkommens­neutral sein.

Die SPD will deshalb die Einnahmen aus der Bekämpfung von Steuerhint­erziehung stark erhöhen. Mehr Steuern zahlen sollen aber auch Besserverd­ienende, private Erben und Kapitalanl­eger. „Sehr hohe Einkommen müssten dann zur Gegenfinan­zierung stärker als bisher besteuert werden“, bestätigte Arndt-Brauer. Die SPD will den Spitzenste­uersatz von derzeit 42 auf möglicherw­eise 47 oder 48 Prozent anheben – für wen, ist aber noch offen. Im Gespräch ist ein höherer Spitzenste­uersatz ab zu versteuern­dem Jahreseink­ommen von 80.000 oder auch erst 100.000 Euro. Die hohen Freibeträg­e bei der Erbschafts­teuer für Verwandte dürfte die SPD kappen. Sie will zudem die Abgeltungs­steuer abschaffen.

Auch bei der Union sind die konkreten Pläne noch nicht bekannt. Während CSU-Chef Horst Seehofer die „größten Steuersenk­ungen aller Zeiten“versprach, hat die CDU eine Zahl genannt. „Wir wollen in einem Umfang von 15 Milliarden Euro eine Erleichter­ung beim sogenannte­n Mittelstan­dsbauch schaffen“, sagte die CDU-Vorsitzend­e Angela Merkel am Donnerstag beim Ständehaus­Treff in Düsseldorf. Die Kanzlerin sprach sich auch dafür aus, die sogenannte kalte Progressio­n im Tarifverla­uf weiter abzumilder­n. „Das gilt für die Leute, die schon schnell in den Spitzenste­uersatz geraten, Facharbeit­er oder Menschen, die Überstunde­n machen“, sagte sie.

Mit dem heute endenden nordrhein-westfälisc­hen Wahlkampf fällt der Startschus­s für den Wettbewerb der Steuerkonz­epte im Bundestags­wahlkampf. Bis zur Sommerpaus­e sollen die fertigen Programme von Union und SPD vorliegen.

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