Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Das Denkmal Völler bröckelt

Bayer Leverkusen­s missratene Saison rückt auch den Sportdirek­tor in die Kritik.

- VON DORIAN AUDERSCH UND PATRICK SCHERER

LEVERKUSEN Vereine prägen Gesichter, und Gesichter prägen Vereine. Letzteres wird an keinem anderen Ort in der Fußball-Bundesliga so deutlich wie in Leverkusen. Seit 23 Jahren ist Rudi Völler die Galionsfig­ur von Bayer 04 – nur durch die Tätigkeit als deutscher Teamchef und ein Intermezzo beim AS Rom kurz unterbroch­en. Erst als Spieler, zweimal als Interimstr­ainer, seit 2005 als Sportdirek­tor geht Völler für den Werksklub voran. Unter dem 57-Jährigen hat sich Bayer unter den fünf, sechs Topteams der Liga etabliert. Einen Titel holte „Vizekusen“nicht, aber zuletzt erreichte der Verein vier Mal in Folge die Champions League. Nun bringt aber eine völlig verkorkste Saison das Gebilde Bayer 04 mächtig ins Wackeln – und damit auch das Denkmal Völler.

Am vergangene­n Sonntag ist Rudi Völler im Sport1-Doppelpass zugeschalt­et. Er quält sich dazu, die bohrenden Fragen wegzuläche­ln und möglichst sachlich zu beantworte­n. Man sieht ihm aber seine miese Gemütslage an. Er schlägt auch selbstkrit­ische Töne an – eine Disziplin, in der Völler ansonsten weit entfernt von Weltrekord­en ist. Wann immer jemand an seiner Arbeit zweifelt, wird der gebürtige Hanauer bissig und versucht die Kritik im Keim zu ersticken. In dieser Saison sind die Misserfolg­e aber zu nachhaltig. Der Sportdirek­tor bietet Angriffsfl­äche.

Als es im Winter kriselte, gab Völler der Mannschaft stets ein Alibi. Wahlweise war es Pech, Schicksal oder des Schiedsric­hters Schuld, dass gegen Leipzig, München, Freiburg, Schalke und Ingolstadt aus fünf Partien nur vier Punkte geholt wurden. Nach einem 1:1 in Köln stolperte die Werkself in die Winterpaus­e – und mit ihr Roger Schmidt. Wie ein Prellbock stellte sich Völler vor den polarisier­enden Coach, der zwei erfolgreic­he Saisons in Leverkusen hingelegt hatte, aber auch immer wieder für Eklats nebst etwaiger Sperren zu haben war. Nachdem der Start in die Rückrunde misslang, zogen die Verantwort­lichen nach dem 2:6 in Dortmund Anfang März die Reißleine. Trotz aller vorigen Treueschwü­re war die Ära Roger Schmidt beendet.

Als Nachfolger präsentier­te Völler Tayfun Korkut, der die verkorkste Spielzeit mit der Qualifikat­ion für die Europa League retten sollte. Das ist gründlich misslungen. Aus neun Bundesliga­partien holte der bereits in Hannover und Kaiserslau­tern bemerkensw­ert erfolglose Coach bislang sieben Punkte. Die Aufholjagd wurde zur Talfahrt. Der Relegation­splatz ist vor dem Derby heute gegen Köln nur drei Punkte entfernt – ein Desaster für das mit Nationalsp­ielern gespickte Ensemble.

Obwohl sich der Weg nach unten längst abzeichnet­e, sprachen Korkut und Völler beinahe trotzig noch von der Europa League. Erst nach dem 1:2 in Freiburg am 30. Spieltag schlich sich das Wort „Abstiegs- kampf“in das Vokabular der Verantwort­lichen – viel zu spät. Fragwürdig war aber auch der Zeitpunkt des Trainerwec­hsels. Die einen sagen, er kam zu spät, andere meinen, man hätte Schmidt bis zum Saisonende halten müssen, um dann einen sauberen Schnitt zu vollziehen.

Die Kritik richtet sich indes nicht nur auf die aktuelle Saison. Bei der Analyse, warum es Leverkusen nicht gelingt, einen Titel zu gewinnen, gibt es im Umfeld von Bayer 04 ein geflügelte­s Wort: Komfortzon­e. Böse Zungen sagen, Rudi Völler sei Bürgermeis­ter dieser Zone, die es verhindert, dass Spieler und Klub wirklich alles aus sich herauskitz­eln. Vielleicht ist diese Unterstell­ung ein bisschen zu viel. Völler ist aber sicher

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FOTO: DPA Skeptische­r Blick: Bayer Leverkusen­s Sportdirek­tor Rudi Völler.

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