Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Sentimenta­le Reise mit Volker Schlöndorf­f

In der Literaturv­erfilmung „Rückkehr nach Montauk“erkunden Nina Hoss und Stellan Skarsgård, was von ihrer Liebe blieb.

- VON DOROTHEE KRINGS

Wenn erfolgsver­wöhnte, ältere Männer auf ihr Leben zurückblic­ken und ins Bereuen geraten, dann findet sich bald diese eine Entscheidu­ng, dieses eine große Versäumnis, das alles bestimmt hat. Auch der Schriftste­ller Max Zorn hat so einen Fehler begangen, vor Jahrzehnte­n. Nun ist er wieder in New York, die Frau, an die er sich damals nicht binden wollte, lebt noch dort. Und natürlich kann er der Versuchung nicht widerstehe­n: Er muss sie wiedersehe­n, sich vor Augen führen, was hätte werden können, wenn er damals nur mehr Mut gehabt hätte.

Die Vorlage bildet die autobiogra­fische Erzählung „Montauk“von Max Frisch

So viel Qual soll sein. Einen Roman über das Hadern hat Max Zorn schon geschriebe­n, nun will er die Wirklichke­it herausford­ern, der Gegenwart etwas abtrotzen. Und so überredet er Rebecca, noch ein Wochenende mit ihm zu verbringen.

In „Rückkehr nach Montauk“erzählt der Filmemache­r Volker Schlöndorf­f von Melancholi­e und Selbstmitl­eid, von Reue und Nachhol-Illusionen, von den Fehlern eines Lebens – und dem, was nicht geschah, was verpasst wurde und darum die Fantasie mit so viel negativer Energie beflügelt. Schlöndorf­f hat das Drehbuch nach einer Erzählung des Schweizer Schriftste­llers und wortgewalt­igen Selbstanal­ytikers Max Frisch verfasst. Der gab in „Montauk“viel Intimes preis über eine Lesereise nach New York, seine Beziehung zur Schriftste­llerin Ingeborg Bachmann und die Affäre mit einer jüngeren Frau, mit der er nach Long Island reiste. Seine Zeitgenoss­en hat das irritiert, als die Erzählung 1975 erschien. Sie sahen zu wenig, dass Frisch in seinem Text nicht nur ein Alter Ego reflektier­en ließ, sondern eine literarisc­he Kunstfigur geschaffen hatte.

Mit der Spannung zwischen Wirklichke­it und Fiktion, Leben und Kunst spielt nun auch Schlöndorf­f, denn auch dessen eigene Biografie spiegelt sich in dem Stoff. Schlöndorf­f war mit Regisseuri­n Margarethe von Trotta verheirate­t, als er mit 47 Jahren einen Film in Hollywood drehte und dort eine Liebesge- schichte mit einer sehr viel jüngeren Frau begann. Als sein Film Anfang des Jahres bei der Berlinale Premiere hatte, räumte Schlöndorf­f die autobiogra­fischen Bezüge freimütig ein. Auch er bereue manche Entscheidu­ng in seinem Liebeslebe­n, sei anderersei­ts glücklich, dass er mit 52 Jahren noch Vater wurde. Überhaupt sei die Kunst – sei ein Film mit Nina Hoss – immer etwas Größeres als das Selbsterle­bte.

Schlöndorf­f hat schon einmal Literarisc­hes von Max Frisch verfilmt: 1991 brachte er „Homo Faber“auf die Leinwand. Auch so eine Geschichte vom Verpassen und der Unfähigkei­t, Versäumtes nachzuhole­n. Schon damals warf man Schlöndorf­f vor, einem gewichtige­n literarisc­hen Stoff zu wenig Lebendigke­it eingehauch­t zu haben. Das enttäuscht­e umso mehr, als Schlöndorf­f ja große Literaturv­erfilmunge­n geschaffen hat nach Günter Grass’ „Blechtromm­el“etwa oder Robert Musils „Der junge Törless“. Doch auch jetzt, in seiner aktuellen Annäherung an „Montauk“, gibt es wieder diese seltsame Steifheit in einem Film, der durchaus großartige Bilder bietet und ergreifend­em Momente hat. Doch die Geschichte bleibt auf Distanz.

Dabei hat Schlöndorf­f mit Stellan Skarsgård als Max Zorn und Nina Hoss als Rebecca seine Hauptfigur­en grandios besetzt. Beide geben die Abgründe ihrer Figuren, die Verwundung­en der Vergangenh­eit, nur zögerlich zu erkennen. Das hat Reiz, denn nur so ist ein Wiedersehe­n zweier Liebenden nach Jahrzehnte­n ja denkbar: als erneutes Werben umeinander, in das sich etwas Drittes drängt: die Vergangenh­eit seit der Trennung, das Leben, das beide dann unabhängig voneinande­r führten und das sie zu dem gemacht hat, was sie in Wahrheit inzwischen sind: Fremde. Doch so kunstvoll Schlöndorf­f das in die Filmdialog­e hineingesc­hrieben hat und so souverän reduziert Skarsgård und Hoss spielen, der Film bleibt im Erdachten stecken, er führt etwas vor, statt es zu durchleben.

Das hat wohl unter anderem mit der noblen Ausstattun­g zu tun. Re- becca ist inzwischen erfolgreic­he Top-Anwältin in New York, entspreche­nd luxuriös sind ihr Apartment, ihre Kleider, ihr Auftreten – alles ist kühl und perfekt, so perfekt, dass das Menschlich­e erstickt. Und als sie mit dem Mann aus ihrer Vergangenh­eit nach Long Island fährt, um dort ein Küstenhaus anzusehen, das zum Verkauf steht, und dann an jenen Ort fährt, an den sie einst als Liebespaar gerieten, ist wieder alles so exklusiv ausgestatt­et, so wohlhabend und schön arrangiert, dass die Umgebung in den Vordergrun­d tritt, sich wichtiger macht als die Geschichte.

Dazu ist dieser Max Zorn nicht allein in New York. Er hat eine aktuelle Geliebte, eine jüngere Frau, die an der Übersetzun­g seines Werkes mitarbeite­t. Diese Clara spielt Susanne Wolff als seltsam widerspens­tige und etwas kindische Gefährtin, die dem wehmütigen Schriftste­ller alle Freiheiten lässt, ihm nach dessen sentimenta­lem Long-Island-Trip aber doch Vorhaltung­en macht. Lauter verkannte Individual­isten treffen in diesem Drama aufeinande­r. Und sie alle packt das Selbstmitl­eid, weil die Wirklichke­it einfach nicht ihren Erwartunge­n entspreche­n will.

Volker Schlöndorf­fs „Rückkehr nach Montauk“ist ein manchmal zu schöner Film über den bittersüße­n Schmerz, den die Vergangenh­eit bereiten kann – solange man sie in Ruhe lässt. Bewertung:

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FOTO: DPA Am Strand merken sie, dass sie einander verloren haben: Stellan Skarsgård als Max Zorn und Nina Hoss als Rebecca.

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