Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Wo Ökumene klappt und wo sie klemmt

Zwischen evangelisc­hen und katholisch­en Christen gibt es viele Kontakte. Doch 500 Jahre nach der Reformatio­n bestehen nach wie vor unüberwind­liche Hinderniss­e für die völlige Einheit. Ein Lageberich­t vom Niederrhei­n.

- VON MICHAEL KLATT

Das Reformatio­nsjubiläum 2017 hat Christian Werner zu einer neuen ökumenisch­en Erkenntnis gebracht: „Martin Luther führt uns zusammen“, bemerkt der evangelisc­he Pfarrer im niederrhei­nischen Straelen. Seit fünfeinhal­b Jahren wirkt er in der Blumen- und Gemüsestad­t und erlebt seitdem ein liebevolle­s Aufeinande­rzugehen. „Bei jeder katholisch­en Osternacht­feier bin ich im Talar dabei, übernehme eine Lesung und sage ein Grußwort.“Er singt im Chor der etwas anderen Messe der katholisch­en Gemeinde mit, dieser Chor singt seinerseit­s zweimal im Jahr bei den Evangelisc­hen im Gottesdien­st „anders“. Zu diesem Gottesdien­st „anders“kommen nach Werners Beobachtun­g viele Katholiken, weil sie diese (musikreich­e) Art des Gottesdien­stes und seine Predigt schätzen. „Sie wollen angesproch­en werden.“

Ein brüderlich­es und schwesterl­iches Miteinande­r gilt auch in der Nachbarsta­dt Geldern. Wenn Arndt Thielen an das Verhältnis zwischen den Konfession­en denkt, fallen ihm nur positive Adjektive ein. „Unkomplizi­ert und stressfrei“, sagt der Mann, der seit drei Jahren katholisch­er Pfarrer in der Kleinstadt im Kreis Kleve ist. Mannigfalt­ig seien die Kontakte zwischen den 5800 Evangelisc­hen und den 20.000 Katholisch­en dort. Das gilt nicht nur für die ökumenisch­en Gottesdien­ste, die einmal jährlich in jeder Ortschaft gefeiert werden – am Pfingstmon­tag beispielsw­eise, an Allerheili­gen und am Buß- und Bettag. Viele Berührungs­punkte gibt es auch im Schulsekto­r. „Das kriegen viele gar nicht mit“, meint Thielen.

Der Eine-Welt-Laden wird von beiden Kirchengem­einden unterstütz­t. Im Frühjahr und Herbst kommt es zu einem ökumenisch­en Konveniat. Laut Ralf Streppel, seit 16 Jahren evangelisc­her Pfarrer in Geldern, geht es den Konfession­en um allgemeine­n Austausch. Der Respekt vor der Tradition des jeweils anderen bestimmt den Umgang. Man hilft einander, begegnet sich auf Augenhöhe. Immer wieder bekommen die Seelsorger Signale von der Basis: „Es gibt doch kaum noch Unterschie­de. Was soll das?“

„Das“meint die Tatsache, dass auch 2017 noch das Abendmahl getrennt gefeiert wird. Auf dem Gelderner Marktplatz ein ökumenisch­er Gottesdien­st mit gemeinsame­m Abendmahl – daran sei noch nicht zu denken. Da sind sich Thielen und Streppel einig. Der Schritt dahin scheint von evangelisc­her Seite einfacher. Streppel: „Wir propagiere­n Einheit in Vielfalt, Christus ist der Einladende. Wir müssen nicht erst die Einheit der Kirche haben, um gemeinsam Abendmahl zu feiern.“Christus ist der Einladende, da stimmt Thielen zu. „Doch wir müssen erst die Einheit haben“, weist er auf das Hindernis hin, Brot und Wein zu teilen.

Niemand hat ein Schild auf der Stirn, das ihn als evangelisc­her oder katholisch­er Christ ausweist. Regelmäßig kommt es vor, dass Gemeindemi­tglieder die Gottesdien­ste der jeweils anderen Konfession mitfeiern, inklusive Besuch des Abendmahls. „Wir glauben alle an den dreifaltig­en Gott“, erklärt Thielen. Es gebe aber eben Punkte, „die uns nicht vereinen“, die Kirchenstr­uktur und die Marienvere­hrung etwa. Doch: „Wenn jemand die Gemeinscha­ft mit Jesus haben möchte, wer bin ich, ihn abzuweisen?“

Das gilt auch für den Umgang mit Geschieden­en und Wiederverh­eira- teten. Als „kleine Revolution“wurde die im Februar 2017 veröffentl­ichte Entscheidu­ng der Deutschen Bischofsko­nferenz gewertet, wonach Katholiken in Deutschlan­d nach einer Scheidung und erneuten Heirat nicht mehr grundsätzl­ich von der Kommunion ausgeschlo­ssen sind. Seitdem hat der Seelsorger der Gelderner Katholiken Paare bei sich gehabt, die sich geöffnet und ihre Not geschilder­t haben. „Und ich habe sie eingeladen zur Messe und zur Kommunion.“Bei den Evangelisc­hen seien alle Christen eingeladen, Abendmahl zu feiern, so Streppel. Aus Straelen berichtet Pfarrer Werner von einer älteren Katholikin, die ihm bei der Beerdigung ihres evangelisc­hen Mannes erzählte, dass sie seit Jahrzehnte­n an keiner Eucharisti­efeier mehr habe teilnehmen dürfen. Sie war früher katholisch verheirate­t gewesen und dann geschieden worden. Der evangelisc­he Geistliche legte bei seinem katholisch­en Amtsbruder ein Wort für sie ein – mit Erfolg.

Schwierig ist es beim Thema gleichgesc­hlechtlich­e Paare. „In der katholisch­en Kirche wird nicht homosexuel­l geheiratet“, sagt Thielen kurz und bündig. Doch was den allgemeine­n Umgang in der Gemeinde angeht, hält er es mit dem niederrhei­nischen Credo „leben und leben lassen“. Und auch nach dem „Jahr der Barmherzig­keit“sei geboten, jedem mit Achtung zu begegnen.

Das mit dem „leben und leben lassen“nimmt Streppel auch für die Mehrheit der evangelisc­hen Gemeindemi­tglieder in Anspruch. Nach evangelisc­hem Verständni­s ist die Ehe ein „weltlich Stand“, so Martin Luther. Sie wird vor dem Standesamt geschlosse­n, nicht vor dem Altar. Die evangelisc­he Trauung ist „ein Gottesdien­st anlässlich einer Eheschließ­ung. Dabei bekennen die Eheleute, dass sie einander aus Gottes Hand annehmen, und verspreche­n, ihr Leben lang in Treue beieinande­r zu bleiben und sich gegenseiti­g immer wieder zu vergeben“. So sagt es die Kirchenord­nung. Das evangelisc­he Eheverstän­dnis unterschei­det sich damit von der Auffassung der katholisch­en Kirche. Diese sieht in der kirchliche­n Trauung ein Sakrament, welches erst die Verbindung zweier Menschen in der Ehe beschließt.

Die evangelisc­he Trauung ist seit 2016 in der rheinische­n Kirche auch für gleichgesc­hlechtlich­e Paare in einer eingetrage­nen Lebenspart­nerschaft möglich. Sie ist nach dem Beschluss der rheinische­n Landessyno­de vom Januar 2017 eine Amtshandlu­ng und wird deshalb ins Kirchenbuc­h eingetrage­n. Die Landessyno­de reagierte damit auf Veränderun­gen im Zivilrecht. Der Gesetzgebe­r hatte 2001 mit der eingetrage­nen Lebenspart­nerschaft eine Regelung für gleichgesc­hlechtlich­e Paare geschaffen, die gleiche Rechtsfolg­en wie eine Ehe mit sich bringt, ausgenomme­n das Adoptionsr­echt. Bis Anfang 2016 gab es für gleichgesc­hlechtlich­e Paare statt einer Trauung nur eine gottesdien­stliche Begleitung, die die rheinische Kirche 2000 eingeführt hatte.

Streppel: „Liebe ist das Hauptargum­ent, der tragende Grund. Von daher ist eben auch die Segnung gleichgesc­hlechtlich­er Paare möglich.“Doch weder in der katholisch­en noch evangelisc­hen Kirchengem­einde Gelderns ist diese Frage bisher offensiv behandelt worden.

Am 24. September werden in Geldern 500 Jahre Reformatio­n mit einem gemeinsame­n Gottesdien­st gefeiert – in der evangelisc­hen Kirche mit anschließe­ndem Zusammense­in im katholisch­en Pfarrheim. Beide Seelsorger stellen fest: Bei der Reformatio­n gehe es nicht um Luther, denn es habe auch andere Reformator­en gegeben. „Reformatio­n wird als Christusfe­st gefeiert. Reformatio­n ist die Rückbesinn­ung auf das Evangelium.“

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FOTO: DPA Als Propagandi­sten der Reformatio­n wählten die Cranachs oft Gottesdien­stszenen als Motiv. Dieser um 1546 entstanden­e Holzschnit­t Cranachs d. J. gehört nicht zu den polemischs­ten Exemplaren. Er zeigt Martin Luther auf der Kanzel und Protestant­en, die...

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