Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Das Ende der Ära Kraft

Die SPD-Vorsitzend­e trat gestern Abend nach der Wahlnieder­lage zurück und übernahm damit die Verantwort­ung.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

DÜSSELDORF Um 18.18 Uhr tritt Hannelore Kraft vor die Genossen. Sie eilt durch den Saal, abgeschirm­t von Sicherheit­sleuten, ihr Mann Udo folgt mit einigem Abstand. Eigentlich sind sie alle hierhergek­ommen, um zu feiern. Verhaltene­r Applaus. Die Ministerpr­äsidentin stellt sich vor das Mikrofon, sie schaut in den Saal, in die bitter enttäuscht­en Gesichter. Sie schluckt schwer, presst die Lippen zusammen und beginnt: „Liebe Genossinne­n und Genossen, das ist kein guter Tag für die Sozialdemo­kratie.“Dann gratuliert sie Armin Laschet, wünscht ihm „eine gute Hand für unser Land“. Und fährt fort: „Es hat nicht gereicht“, die SPD habe das Vertrauen der Wähler verloren. Auf eigenen Wunsch habe sie den Wahlkampf so angelegt, dass er vor allem landespoli­tische Themen in den Mittelpunk­t stellte.

Und dann spricht sie den Satz, der eine Ära beendet: „Für die Entscheidu­ngen, die getroffen wurden, übernehme ich persönlich die Verantwort­ung. Und deshalb trete ich mit sofortiger Wirkung von meinem Amt als Landesvors­itzende und stellvertr­etende Bundesvors­itzende zurück.“Ein letztes Mal schaut sie in den Saal, presst noch einmal die Lippen aufeinande­r und verlässt die Bühne. In ihren Augenwinke­ln blitzen Tränen auf. Das Leben im Saal scheint für Sekunden stillzuste­hen.

Dass es für Hannelore Kraft knapp werden würde, hatte sich in den Tagen vor der Wahl abgezeichn­et. Nicht aber, dass die Wähler ihre Politik so hart und eindeutig abstrafen. Sie, die einstige Hoffnungst­rägerin der SPD, bringt der Partei das schlechtes­te Ergebnis der Nachkriegs­zeit in NRW ein. Es gibt nichts, was noch schönzured­en ist. Kraft ist lange genug in der Politik, um zu wissen, dass es nur eine Konsequenz aus einer solchen Niederlage gibt: den sofortigen Rücktritt.

Die entscheide­nden Minuten kurz vor 18 Uhr hatte sie in der Staatskanz­lei verbracht. Den Moment, in dem der rote Balken der SPD auf dem Bildschirm langsam kletterte und dann viel zu früh stehenblie­b. Dann hatte sie den schweren Gang zur Wahlparty der SPD an- getreten, die sich im Henkel-Saal des Quartier Bohème in der Altstadt versammelt hat. Ein „angesagter Hotspot“, wie es im Internet heißt, wo Düsseldorf­er am Wochenende exzessiv tanzen und feiern. Unpassende­r könnte der Ort kaum sein.

Noch als die erste Prognose um 18 Uhr über die Bildschirm­e flackert, ist der Henkel-Saal in dunkelrote­s Party-Licht getaucht. „30,5 Prozent für die SPD – schlechtes­tes Ergebnis“, sagt der Moderator. Erschreckt­e Ausrufe werden laut, dann herrscht Stille. Als das starke Ergebnis für die FDP bekannt wird, ertönt höhnisches Gelächter. „Dann sollen sie doch“, stößt eine ältere Frau trotzig hervor. „Das maximal Schauderha­fte ist eingetrete­n“, sagt Georg Groth, ein Herr in mittleren Jahren, seit über 40 Jahren Parteimitg­lied.

Auch Bundesumwe­ltminister­in Barbara Hendricks hat sich unter die Parteifreu­nde gemischt. „Die Negativ-Kampagne der CDU hat gefruchtet“, ist sie überzeugt. Aus ihrer Sicht war es ein Fehler, sich die Rot-Rot-Grün-Debatte „aufsetzen zu lassen, mit der Linksparte­i, die gar nicht im Landtag vertreten war“. Wenig später im Landtag wird NRWBaumini­ster Michael Groschek (SPD) sagen: „Es ist FDP und CDU gelungen, aus Stimmungen Stimmen zu erzeugen.“Dann kommt auf einmal der 86-jährige Burkhard Hirsch auf Groschek zu. Der frühere FDP-Innenminis­ter in NRW und Bundestags­vizepräsid­ent flüstert Groschek etwas ins Ohr: „Kaufmannsg­ut hat Ebbe und Flut.“

Hannelore Kraft erreichen diese Worte nicht mehr, sie hat den Landtag durch den Hintereing­ang verlassen.

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FOTO: DPA Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft verlässt in Düsseldorf die SPD-Wahlparty. Oben rechts ihr Mann Udo.
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FOTO: IMAGO Schockstar­re bei den SPD-Anhängern bei der zentralen Wahlverans­taltung in Düsseldorf.

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