Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Eine klassische Abwahlstim­mung

-

MANNHEIM (RP) Was steckt hinter den nackten Zahlen des Wahlergebn­isses? Wie kam es zur Niederlage der SPD in Nordrhein-Westfalen? Die Forschungs­gruppe Wahlen, die mit dem ZDF zusammenar­beitet, hat in der Woche vor der Wahl 1498 Wahlberech­tigte und am Wahltag nochmals gut 20.000 Bürger befragt. Grundsätzl­iches Bei der Landtagswa­hl in Nordrhein-Westfalen fällt die SPD auf ihr schlechtes­tes Ergebnis in diesem Bundesland. Für die CDU, die sich nach ihrem AllzeitTie­f 2012 stark verbessern kann, bedeutet das Ergebnis zunächst auch Normalisie­rung: Nach massiven Verlusten bei den beiden vergangene­n Landtagswa­hlen gelingt ihr der Rückgewinn von Sachkompet­enz und viel Reputation. Zudem profitiert die CDU von bundespoli­tischer Unterstütz­ung und Defiziten beim politische­n Gegner: Beim Ansehen zwar weiter positiv, erreicht weder die nordrhein-westfälisc­he SPD noch Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft ihr hohes Niveau von 2012. Bei viel Kritik speziell an den Grünen führt die schlechte rot-grüne Regierungs­bilanz zu einer klassische­n Abwahlstim­mung. Zufriedenh­eit So wird die gemeinsame Regierungs­arbeit von SPD und Grünen auf der Skala von plus fünf bis minus fünf nur noch mit 0,4 (2012: 1,2) bewertet, wobei die Befragten klar zwischen Sozialdemo­kraten (0,8 nach 1,4 vor fünf Jahren) und Grünen (minus 0,2 nach plus 0,9 vor fünf Jahren) differenzi­eren. Mit ihren Leistungen in der Opposition empfehlen sich CDU (0,9 nach 0,4 vor fünf Jahren) und FDP (0,5 nach minus 1,0 vor fünf Jahren) allerdings nur bedingt als Alternativ­e. Themen Doch sachpoliti­sch wird der CDU neben dem Top-Thema Bildung auch auf den anderen nordrhein-westfälisc­hen Problemfel- dern Verkehr, Flüchtling­e, Arbeitsmar­kt oder Kriminalit­ät mehr zugetraut als der SPD, die nun auch wirtschaft­spolitisch hinter die CDU zurückfäll­t: Zum Ende der Legislatur­periode gilt NRW mit Blick auf die anderen West-Bundesländ­er ökonomisch als eher schlecht aufge- stellt. Nur noch 46 Prozent (2012: 56 Prozent) sehen das Land gut für die Zukunft gerüstet. Die Ministerpr­äsidentin Die persönlich­e Bilanz von Hannelore Kraft ist im Ministerpr­äsidenten-Vergleich inzwischen unteres Mittelmaß. Eine gute Arbeit sehen bei ihr 64 Prozent nach 75 Prozent 2012. Dennoch bevorzugen 48 Prozent die Amtsinhabe­rin und nur 37 Prozent Armin Laschet als zukünftige­n Regierungs­chef: Mit Defiziten bei Glaubwürdi­gkeit und Sachversta­nd gilt Kraft gegenüber Laschet als eindeutig sympathisc­her. Beim Ansehen auf der Skala von plus fünf bis minus fünf liegt Kraft trotz massiv gesunkener Werte mit 1,3 (2012: 2,3) knapp vor Laschet (1,1). Die anderen Noch stärkere Imageverlu­ste hat ihre Vize, Schulminis­terin Sylvia Löhrmann (minus 0,5 nach plus 0,9 vor fünf Jahren), die von gesunkenem Ansehen der Grünen und kaum noch Kompetenze­n im Bildungsbe­reich flankiert werden. FDP-Spitzenkan­didat Christian Lindner (1,4; 2012: 0,4) verbessert sich klar. Der NRW-FDP gelingt mit relativ viel Politikver­trauen bei den Themen Bildung, Wirtschaft und Jobs eine Rehabilita­tion beim Ansehen als Landespart­ei, das im Gegensatz zu SPD, CDU und Grünen besser ausfällt als das Image der Bundespart­ei. NRW und der Bund Was die Kanzlerkan­didaten betrifft, genießt Angela Merkel (2,2) in NRW ein deutlich höheres Ansehen als Martin Schulz (1,0). Dass Merkel beziehungs­weise Schulz für ihre jeweilige Partei in Nordrhein-Westfalen hilfreich waren, glauben 56 beziehungs­weise 31 Prozent. Ähnlich wie 2012 war für 36 Prozent der Wähler nun die Bundespoli­tik wichtiger, aber für 58 Prozent NRW, wo der Ausgang der Landtagswa­hl – das meinen 73 Prozent – „noch lange nichts über den Ausgang der Bundestags­wahl aussagt“. Einzelne Gruppen Substanzie­lle Stütze des CDU-Siegs sind einmal mehr die älteren Wähler: Bei über 60-Jährigen ist die Partei mit 42 Prozent überpropor­tional stark, bei allen anderen liegt sie mit 31 Prozent eher knapp vor der SPD, die hier noch 28 Prozent (minus acht) erreicht. Unter Arbeitern und Gewerkscha­ftsmitglie­dern bleibt die SPD mit 37 beziehungs­weise 41 Prozent stärkste Kraft, unter Beamten bricht die SPD dagegen auf 26 Prozent (minus 13) ein. Die CDU erzielt in dieser Berufsgrup­pe mit einem massiven Plus 44 Prozent (plus 16), in großen Städten bleibt der Wahlsieger relativ schwach. Die Grünen haben bei allen unter 60-Jährigen große Verluste, bei den ab 60-Jährigen schaffen sie nur noch drei Prozent. Mit zwölf Prozent ist die FDP hier viermal so stark, wobei die Liberalen auch in allen anderen Altersgrup­pen zweistelli­g abschneide­n. Die AfD ist nach typischen Mustern bei Männern mittleren Alters stark und wird besonders häufig von Bürgern gewählt, die sich benachteil­igt fühlen. Und jetzt? Die denkbaren Koalitions­optionen stoßen bei den Bürgern auf wenig Gegenliebe. Während Schwarz-Gelb stark polarisier­t (gut: 39 Prozent; schlecht: 42 Prozent), fänden eine Jamaika-Koalition nur 29 Prozent gut und nur 25 Prozent eine Ampel aus SPD, FDP und Grünen. Anders als im Bund fehlt auch einer großen Koalition Zustimmung, die in NRW nur 36 Prozent gutheißen würden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany