Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Das Leben ist eine Großbauste­lle

Rimini Protokoll inszeniere­n in Düsseldorf eine raffiniert­e Baustellen­führung.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Erst einmal diese knallgelbe­n Bauhelme mit den Kopfhörern anziehen. Schließlic­h ist so eine Baustelle ein gefährlich­er Ort. Das hat auch Alfredo di Mauro erfahren, der jetzt per Mikro zugeschalt­et wird. Der war mal erfolgreic­her Gebäudetec­hniker, hat die Entrauchun­gsanlage des Berliner Großflugha­fens geplant. Doch dann wurde das Supergebäu­de nicht fertig. Die Entrauchun­gsanlage sollte schuld sein. Und nun hat di Mauro seine Existenz verloren, seinen guten Ruf auch und sitzt wie der kleine Maulwurf in einem künstliche­n Sandberg auf der Bühne des Düsseldorf­er Schauspiel­hauses und erzählt seine Version vom Scheitern.

Doch dann geht es schon weiter. Die kleine Zuschauerk­olonne gibt die gelben Helme an die nächste Gruppe weiter und zieht hinüber ins Kampfkunst-Camp eines Baujuriste­n. Jetzt müssen die Zuschauer Kopfschutz tragen wie Boxer. Wieder sind darin Kopfhörer eingearbei­tet, durch die nun der Jurist Verbindung aufnimmt und erklärt, wie Bauherren und Gewerke um Bauverzöge­rungen und Mehrkosten streiten. Und weil sein Hobby Karate ist, lehrt Jürgen Mintgens seine Zuschauer gleich auch ein paar Bewegungen: Angriff, Blocken, Gegenangri­ff. Das Leben ist eine Baustelle – besser man rüstet sich für den Kampf.

Wieder hat die Theatergru­ppe Rimini Protokoll Menschen aus der Wirklichke­it rekrutiert, um eines ihrer kunstvolle­n Realitätsk­onstrukte auf die Bühne zu bringen. Diesmal geht es ums Bauen selbst, um Planungsfe­hler, Wanderarbe­iter, Korruption­sermittler und sehr viel Geld. Die Zuschauer schauen sich das Treiben mal von oben an wie Insektenfo­rscher, schleppen Steine für einen rumänische­n Schwarzarb­eiter, der seine Ausbeutung­sopferGesc­hichte erzählt oder sitzen mit einer Immobilien­vermarkter­in am Rouletteti­sch und investiere­n in Großprojek­te weltweit. Besonders schön sind jene Momente, da sich die Handlungse­benen kreuzen, die Zuschauerg­ruppen, ohne es zu merken, füreinande­r Darsteller werden und Rimini Protokoll vorführen, zu welcher Meistersch­aft sie es im Arrangemen­t solcher Bühnentour­en gebracht haben. Doch sie packen auch sehr viel in diesen Abend hinein, so dass es in den einzelnen Episoden arg oberflächl­ich bleibt. Schnell wird der Korruption­sskandal beim Bau des Landesarch­ivs in Duisburg abgehandel­t, ein Mann von Transparen­cy Internatio­nal schildert den Fall aus seiner Sicht, schon geht es um nachhaltig­e Baustoffe und alternativ­e Stadtplanu­ng. Alles wird nur angerissen, die Experten der Wirklichke­it, die Rimini sonst so charmant zu inszeniere­n weiß, bleiben Stichwortg­eber.

Dafür gelingt es der Theatergru­ppe, die abstrakte Beschäftig­ung mit der Gefahrenzo­ne Baustelle zu einem sinnlichen Erlebnis zu machen. Und aus umherwande­rnden Zuschauerg­ruppen eine Erfahrensg­emeinschaf­t zu formen, die am Ende nicht nur eine Vision vom gerechtere­n Bauen entwickelt, sondern gemeinsam tanzt. Und plötzlich ist die Bühne eines Theaters, das gerade selbst wegen einer Großbauste­lle in einer Ausweichsp­ielstätte arbeiten muss, ein realer utopischer Raum. Weitere Termine und Karten unter: www.dhaus.de oder Telefon: 0211 / 369911 Die Aufführung ist für Zuschauer mit eingeschrä­nkter Mobilität nicht geeignet.

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FOTO: BENNO TOBLER Gefahrenzo­ne Baustelle: Szene aus der Aufführung.

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