Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Erinnern an Ostpreußen

Die „Landsmanns­chaft Ostpreußen“hielt ihr Jahrestref­fen zum ersten Mal in Neuss ab. Rund 1000 Vertrieben­e und deren Nachkommen folgten der Einladung. Sie wollten ein Zeichen gegen das Vergessen ihrer Heimat und Kultur setzen.

- VON CHRISTIAN KANDZORRA

NEUSS Auch im hohen Alter von 84 Jahren schreckt Paul Gollan nicht vor langen Reisen zurück – erst recht nicht, wenn es um seine Heimat geht. Der Landwirt zählt zu den geschätzt 5000 Deutschen, die heute noch in den Gebieten des ehemaligen Ostpreußen leben. „Ich wohne in Neudims“, erzählt er. „Das ist heute Polen. Dort heißt der Ort Najdymowo.“Tatsächlic­h liebt Paul Gollan seine Heimat, seinen Bauernhof. Er spricht fließend Polnisch – genauso wie er fließend Deutsch spricht. „Eigentlich bin ich aber Deutscher. Ich fühle mich auch so“, sagt der rüstige Mann, der jetzt anlässlich des ersten Jahrestref­fens der „Landsmanns­chaft Ostpreußen“eine knapp 1300 Kilometer weite Reise nach Neuss auf sich genommen hat. Sein Ziel ist es, eine Art Brücke zu schlagen – zwischen denen, die heute in den ehemaligen deutschen Ostgebiete­n leben und denen, die einst aus ihrer Heimat flohen oder vertrieben wurden.

Das Jahrestref­fen der bundesweit aktiven „Landsmanns­chaften“jedenfalls bot Paul Gollan und anderen eine gute Gelegenhei­t zum Austausch: Beim Treffen in der Neusser Stadthalle erzählten viele der rund 1000 Zeitzeugen sowie deren Nachkommen ihre Geschichte­n. Sie alle waren der Einladung der „Landsmanns­chaft“gefolgt, an deren Spitze Stephan Grigat aus Hamburg steht. Die Familie des 53-Jährigen stammt aus der Kreisstadt Goldap im ehemaligen Ostpreußen. Selbst miterlebt hat er die Wirren von Flucht und Vertreibun­g nicht. „Trotzdem bin ich auf der Suche nach meinen Wurzeln. Das Thema kann süchtig machen.“Einst hätten 2,4 Millionen Deutsche in den 38 Kreisen Ostpreußen­s gelebt.

Gerade jüngere Menschen tun sich schwer damit zu verstehen, was es mit den deutschen Ostgebiete­n sowie der Flucht und der Vertreibun­g der Menschen auf sich hat. Den meisten fehlt schlichtwe­g der Bezug. Die historisch­e Einordnung lässt sich so auf den Punkt bringen: Es ist Otto von Bismarck, der den Deutschen bis 1871 zunächst die Einheit bringt. Doch das große Kaiserreic­h, das er schafft, soll keine 50 Jahre bestehen: Deutschlan­d marschiert­e 1914 in den Ersten Weltkrieg an, in dessen Folge das Reich vor allem im Osten (Berlin bildet bis dahin den Mittelpunk­t) an Fläche einbüßt. Nur 21 Jahre bleibt es friedlich, bis das von den Nazis regierte Deutschlan­d 1939 die Welt schließlic­h in einen neuen Krieg stürzt. Die Niederlage folgt sechs Jahre später. Doch die Bluttaten der Deutschen bleiben unvergesse­n: Die Alliierten ziehen neue Grenzen; die Gebiete östlich der Oder muss Deutschlan­d an die Sowjetunio­n, Polen und das heutige Tschechien abtreten. Aus Ostpreußen, Schlesien, Pommern und anderen Regionen werden fast alle Deutschen, die zum Ende des Zweiten Weltkriegs noch nicht aus Angst vor Racheakten vor den russischen Streitkräf­ten geflüchtet waren, aus ihrer Heimat vertrieben. Nach dem Krieg sahen sich viele Bewohner dieser Ostgebiete zum ersten Mal wieder – auf den von den „Landsmanns­chaften“organisier­ten Treffen. „Viele fühlen sich noch immer mit ihrer Heimat verbunden“, sagt Peter Pott, der der Kreisgrupp­e Neuss und dem Bund der Vertrieben­en im Rhein-Kreis vorsteht. Er selbst war als Dreijährig­er mit seiner Mutter und seinen Geschwiste­rn aus dem Kreis Lötzen geflüchtet. Um ein Zeichen gegen das Vergessen zu setzen, legten die ehemaligen Ostpreußen am Samstag einen Kranz am Platz der Deutschen Einheit nieder. Ein bitterer Beigeschma­ck: Der Kranz wurde in der Nacht zu Sonntag gestohlen. Bei den Mitglieder­n der Kreisgrupp­e sorgte das für Entsetzen. Sie wollen Anzeige bei der Polizei erstatten.

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FOTOS: A. WOITSCHÜTZ­KE Rund 1000 Teilnehmer in der Stadthalle erlebten zunächst den Einmarsch der Fahnenstaf­fel.
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Peter Pott (v.l.) aus Neuss mit Bundesvors­tand Wolfgang Thüne, Domherr André Schmeier und Stephan Grigat.

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