Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der Verfall Jugoslawie­ns lag auch an Tito

Minutiös listet der führende Balkan-Historiker Joze Pirjevec die Fehler des kommunisti­schen Diktators auf.

- VON CHRISTOPH ZÖPEL

Der slowenisch­e Historiker Joze Pirjevec, Jahrgang 1940, hat eine Biografie Titos geschriebe­n, ohne Anhang 586 Seiten stark. Laut Klappentex­t ist sie das Ergebnis 30-jähriger Forschungs­arbeit. Das ist erkennbar, macht das Buch aber für Leser, die nicht für Jahrzehnte jugoslawis­che Zeitzeugen sein konnten, durch die aufgezeigt­e Personenvi­elfalt etwas verwirrend. Dabei bezieht es sich auf zahlreiche Persönlich­keiten, die Tito beobachtet haben. Bei den jugoslawis­chen Quellen spielen Betroffenh­eitsemotio­nen hinein, bei „westlichen“Diplomaten ironisch-tagesaktue­lle Besserwiss­erei. Unbeschade­t dessen ist das Buch lesenswert – um etwas über die Rolle einer Persönlich­keit für historisch­e Entwicklun­gen zu erfahren, für das Verständni­s der staatsterr­oristische­n Implikatio­nen des von Stalin geprägten Kommunismu­s, für die Einsicht in die Gründe der Implosion Jugoslawie­ns.

Tito war 35 Jahre autoritäre­r Präsident Jugoslawie­ns, damit herrschte er vier Jahre länger als Stalin. Rücksichts­los gelangte er an die Spitze der Kommunisti­schen Partei, nutzte Personenku­lt als Machtinstr­ument ebenso wie seine Neigung zu Prunk und Luxus. Das aber setzte Charisma voraus. So leitet Pirjevec das Buch mit einführend­en Worten zu „Titos Augen“ein. Was zunächst boulevarde­sk erscheint, wird nach Lektüre des Buches zur Erklärung des unerklärba­r Bleibenden.

Titos Bruch mit Stalin 1948 hat auch mit diesem Selbstbezu­g Titos zu tun. Es ist getragen von der Tatsache, dass sein Land durch ihn, seine Partisanen­armee, vom Faschismus befreit wurde, nicht von der Roten Armee. Weltgeschi­chtlich bedeutsam bleibt dieser Bruch, weil er zeigt, dass Staaten ausreichen­der Größe sich aus der Dominanz der Weltmächte lösen können. Dass sie dazu die nationale Karte spielen müssen, zeigt ein Dilemma, das nach Titos Tod zur Katastroph­e führte. Er stritt für ein integriert­es Jugoslawie­n. Nur so waren das Land und er stark genug für eine unabhängig­e Rolle. Tito spielte sie als einer der Anführer der Blockfreih­eit, ständig in Furcht, die Sowjetunio­n könnte doch militärisc­h in Jugoslawie­n intervenie­ren, während er zugleich die Politik der Westmächte als imperial interpreti­erte.

Der Bruch mit Stalin war nicht der Bruch mit dem sowjetisch geprägten Kommunismu­s. Die ihm immanente Vernichtun­gsstrategi­e gegen politische Gegner hatte Tito gegen kroatische Ustascha und serbische Tschetniks praktizier­t, er praktizier­te sie wieder gegen die Anhänger Stalins. Die Unterdrück­ung war auch der Grund, der Titos sozialisti- sche Alternativ­e zum Sowjetkomm­unismus scheitern ließ. Der fast absolute Anspruch auf Führung durch die Kommunisti­sche Partei – und ihres Vorsitzend­en auf Lebenszeit Tito – beendeten alle Initiative­n, in Jugoslawie­n den Sozialismu­s mit „menschlich­em Antlitz“nachhaltig Wirklichke­it werden zu lassen.

Die Folgen waren zunächst ökonomisch­er Zusammenbr­uch und dann nationalis­tischer Krieg. Technologi­sch-ökonomisch­e Entwicklun­gen erforderte­n ausgebilde­te Experten, die aber gefährdete­n in den selbstverw­alteten Betrieben die führende Rolle der Arbeiter, so wurden sie ideologisc­h bekämpft und die Betriebe unprodukti­v. Die propagiert­e Selbstverw­altung der acht Republiken und autonomen Provinzen führte zu Konflikten zwischen ihnen. Die wirtschaft­sstärkeren Teile Slowenien und Kroatien fühlten sich von den Schwächere­n, Bosnien-Herzegowin­a und Mazedonien, ausgebeute­t. Alle fühlten sich von Serbien bevormunde­t, das die Armee dominierte.

So half es wenig, dass Titos Herrschaft menschlich­er wurde, dass die Jugoslawen viele Freiheiten hatten, nur nicht die Meinungsfr­eiheit. Es entwickelt­e sich keine plurale und ökonomisch effiziente Demokratie, sondern gewalttäti­ger nationalis­tischer Staatsverf­all. Das Charisma endete mit seinem Träger.

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FOTO: DPA Jugoslawie­ns Diktator Josip Broz Tito (1892-1980)

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