Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die afrikanisc­he Zeitbombe

Tom Burgis, ein Autor der „Financial Times“, analysiert das Elend Afrikas.

- VON PETER SEIDEL

Afrika, der dunkle Kontinent, bildet die strategisc­he Gegenküste zu Europa, getrennt durch das Mittelmeer. Dort geht die „Plünderung Afrikas“durch Diktatoren und Konzerne ungebremst weiter. Dies ist das Thema des Erstlingsw­erks von Tom Burgis, Auslandsre­porter der „Financial Times“. Sein Obertitel: „Der Fluch des Reichtums“.

Afrika, das sind Diamanten und Gold, Erdöl und Erdgas, und nicht zuletzt Erze, von Zinn bis zu Coltan, unentbehrl­ich für elektronis­che Artikel wie Mobiltelef­one. Seit Jahrzehnte­n werden die Lagerstätt­en ausgebeute­t, im Kongo, in Angola, in Nigeria. Den Afrikanern kommt das kaum zugute. Denn sie werden von diktatoris­chen Stammesfür­sten in Ländern regiert, für die das Attribut „gescheiter­ter Staat“Schönfärbe­rei ist. Und hier liegt der Schwerpunk­t der Schilderun­g: Zur Sicherung ihrer Macht brauchen die Putschiste­n für ihre Klientel aus Milizen und Stämmen Bargeld und Pfründen, die sie billig gegen Abbaurecht­e für Rohstoffe erhalten und verschleud­ern: korrupte, tribalisti­sche Eliten, ohne Staatsräso­n und damit ohne Grundlage für den Aufbau eines funktionie­renden Nationalst­aates. Burgis schildert ausführlic­h die Folgen, die Leiden der Bevölkerun­g bis hin zu Pogromen unter den Verlierers­tämmen. Geopolitis­ch interessan­t sind die Passagen über die chinesisch­e Strategie in Afrika, gut strukturie­rt die Kapitel über das verhängnis­volle, weil unentwirrb­ar erscheinen­de Netz gegenseiti­ger Abhängigke­iten von Diktatoren und internatio­nalen Firmen. Es macht die These vom „Fluch des Reichtums“so bedrückend: Der Westen mit seinen subvention­ierten Agrarprodu­kten und der Osten mit seinen billigen Industriep­rodukten zerstören oft die vorhandene bäuerliche und industriel­le Produktion.

So wird Afrika trotz seiner Rohstoffe, teilweise beträchtli­cher Wachstumsr­aten und einer langsam wachsenden Mittelschi­cht immer mehr zum scheiternd­en Kontinent. Denn im Gegensatz zur Bevölkerun­gsexplosio­n im Europa des 19. Jahrhunder­ts wird die in Afrika nicht durch eine parallel verlaufend­e Industrial­isierung begleitet. Die Zahl der Menschen hat sich im 20. Jahrhunder­t verzehnfac­ht. Zugleich setzt sich in Afrika das Bevölkerun­gswachstum ungebremst fort, der Kontinent wird zur Zeitbombe.

Burgis ist oft vor Ort, an den Brennpunkt­en. Und die schildert er eindrucksv­oll. Mit Kommentare­n hält er sich zurück. Was die afrikanisc­he Entwicklun­g für Europa bedeutet, ist nicht sein Thema. Und so ist das Buch eher für Geschäftsl­eute, Entwicklun­gshelfer, Blauhelme, Ministeria­lbeamte geeignet, die mit Afrika zu tun haben. Was die Forderunge­n nach einem „Marshallpl­an“für Afrika bewirken sollen, bleibt mehr als fraglich. Von den bisher geleistete­n „800 Milliarden Entwicklun­gshilfe sind 600 in den Taschen von Diktatoren und korrupten Eliten gelandet“(FAZ, 23. 09. 2016). Tom Burgis: Der Fluch des Reichtums: Warlords, Konzerne, Schmuggler und die Zuk. Afrikas. 2016, Westend, 352 S., 24 Euro

 ?? FOTO: REUTERS ?? Proteste in Nigeria.
FOTO: REUTERS Proteste in Nigeria.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany