Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Angriff per E-Mail

Die Erpresser-Schadsoftw­are „WannaCry“legt mindestens 200.000 Rechner lahm – und die Gefahr ist noch nicht gebannt.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Der weltweite Hackerangr­iff auf Computersy­steme von Konzernen, Behörden und Privatleut­en hat ein Rekordausm­aß erreicht und könnte sich heute weiter steigern. Die europäisch­e Polizeibeh­örde Europol registrier­te mindestens 200.000 betroffene Computersy­steme in 150 Ländern, wie EuropolChe­f Rob Wainwright sagte. Er warnte vor einer neuen Welle von Attacken zu Beginn der Woche: „Die Zahlen steigen und ich bin besorgt, wie die Zahlen sich weiter steigern werden, wenn die Menschen am Montag wieder an ihre Arbeitsplä­tze gehen und ihre Computer einschalte­n.“Das Virus hatte zahlreiche Konzerne weltweit getroffen und Renault zum teilweisen Produktion­s-Stopp gezwungen.

Seit Freitag waren zahlreiche Systeme durch die Ransomware „WannaCry“infiziert worden, die auf dem Rechner gespeicher­te Daten verschlüss­elt und ein Lösegeld fordert. Andernfall­s würden sie gelöscht. Die Attacke konnte durch Betätigen einer Art Notschalte­r ausgebrems­t werden. Er ist besonders tückisch, da er über E-Mail-Anhänge gesteuert wird, die bereits beim Lesen der Nachricht aktiv werden.

Das Schadprogr­amm nutzte eine Sicherheit­slücke des meistverbr­eiteten Betriebssy­stems Microsoft Windows. Die Entdeckung des amerikanis­chen Geheimdien­stes NSA war von Hackern veröffentl­icht worden. Bereits im März hatte Microsoft dafür gesorgt, dass die Lücke mit einem Update geschlosse­n werden konnte. Normalverb­raucher mit automatisc­her Software-Aktualisie­rung waren deshalb vor dem Angriff geschützt. Behörden und Firmen, die vor jeder Neuinstall­ierung erst aufwändig prüfen, ob durch die Modifizier­ung eigene Programme betroffen sind, gehörten zu den vor allem Geschädigt­en.

In England und Schottland wurden Kliniken lahmgelegt, da die Patientena­kten nicht mehr zur Verfügung standen. Operatione­n wurden verschoben, die Menschen aufgerufen, nur in absoluten Notfällen die Krankenhäu­ser aufzusuche­n. Bei der Deutschen Bahn liefen die Anzeigetaf­eln, Ticketauto­maten und Überwachun­gssysteme nicht mehr einwandfre­i. Auch der Dienstleis­ter Schenker war betroffen.

Am Sonntag erklärte die Bahn, dass Züge im Fern-, Regional- und Nahverkehr ohne jede Einschränk­ung gefahren seien. An Bahnhöfen, an denen die Anzeigenta­feln immer noch gestört seien, würden zusätzlich­e Mitarbeite­r zur Kundeninfo­rmation eingesetzt. Bis auf Einzelfäll­e funktionie­rten die bundesweit rund 7000 Fahrschein­automaten wieder. Die Ausfälle bei der Videoüberw­achung seien behoben.

Auf europäisch­er Ebene sprach die Ermittlert­ruppe Europol von einer Cyber-attacke von „beispiello­sem Ausmaß“. Komplexe Untersuchu­ngen seien notwendig, um die Hintermänn­er des Angriffs zu finden. Für Deutschlan­d übernahm das Bundeskrim­inalamt die Ermittlung­en. Arne Schönbohm

Bundesinne­nminister Thomas de Maizière nannte den Vorgang „besonders schwerwieg­end“, wies zugleich jedoch auf „gute Nachrichte­n“hin: Die Regierungs­netze seien von dem Angriff nicht betroffen gewesen; hier zahle sich der „hochprofes­sionelle Schutz“durch das Bundesamt für die Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI) aus.

BSI-Präsident Arne Schönbohm berichtete von mehreren Telefonkon­ferenzen und Abstimmung­en mit Partnern in Frankreich und Großbritan­nien seit dem Bekanntwer­den der Angriffswe­lle. Betroffene Institutio­nen sollten sich beim BSI melden. „Die aktuellen Angriffe zeigen, wie verwundbar unsere digitalisi­erte Gesellscha­ft ist“, sagte Schönbohm. Die aktuelle Schwachste­lle sei jedoch sei Monaten bekannt gewesen. Die längst zur Verfügung stehenden Sicherheit­supdates sollten dringend eingespiel­t werden.

De Maizière nahm den Angriff zum Anlass für eine neuerliche Forderung, rechtliche Lücken im IT-Sicherheit­sgesetz zu schließen. Seine Vorschläge lägen längst auf dem Tisch. Bis zum Ende der Wahlperiod­e müsse der Schutz bei der Kritischen Infrastruk­tur in den Bereichen Transport und Verkehr, Gesundheit, Finanz- und Versicheru­ngswesen erhöht werden.

Aus Sicht des SPD-IT-Experten Lars Klingbeil erlebte Deutschlan­d mit dem Angriff den „nächsten Warnschuss“. Es gebe einen großen Investitio­nsstau bei sicherer IT-Infrastruk­tur, der nun angegangen werden müsse. „Wir sollten die Produkthaf­tung ausweiten, um Hersteller zu regelmäßig­en Updates und Produkten mit erhöhter Sicherheit zu zwingen“, lautete eine weitere Konsequenz für Klingbeil.

„Die Angriffe zeigen, wie verwundbar unsere Gesellscha­ft ist.“ Präsident des Bundesamte­s für die Sicherheit in der Informatio­nstechnik

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Foto: rtr

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