Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Lindners Angst vor der CDU

- VON GREGOR MAYNTZ, THOMAS REISENER UND BEATE WYGLENDA

DÜSSELDORF Angesichts der gemeinsame­n Regierungs­traditione­n im Bund und im Land überrascht­e die kalte Schulter, die FDP-Chef Christian Lindner der CDU am Wahlabend zeigte. „Ich bin nicht der Wunschkoal­itionspart­ner der CDU, und die CDU ist nicht meiner“, sagte Lindner. Das klang nicht nur schroff. Das war auch so gemeint.

CDU-Spitzenkan­didat Armin Laschet und Lindner duzen sich. Ihre Wahlprogra­mme weisen unter allen Parteien die größten Übereinsti­mmungen auf. Mit fast stereotype­r Vorhersehb­arkeit legten Laschet und Lindner sieben Jahre lang gemeinsam ihre Finger in die Wunden der rot-grünen Landesregi­erung. Was sonst als eine gemeinsame Regierung sollten die beiden sich wünschen?

Um zu verstehen, warum der FDPChef mit der NRW-CDU fremdelt, muss man sich die jüngere Geschichte der FDP vor Augen führen. Weil sie von 2009 bis 2013 in der schwarz-gelben Koalition im Bund kaum ein Wahlverspr­echen umsetzte und sich mit unglücklic­hem Personal das Image einer rücksichts­losen und machtverse­ssenen „Besserverd­iener-Partei“einhandelt­e, flog sie danach aus dem Bundestag und aus mehreren Landtagen. Ihre Glaubwürdi­gkeitskris­e führte die Liberalen an den Rand des Ruins.

Lindner, der Ende 2013 den Vorsitz übernahm, sanierte die Partei radikal. „Wir sagen, was wir tun, und wir tun, was wir sagen“, sagte er – und hat sich wie kaum ein anderer Spitzenpol­itiker daran gehalten. Offensiv kämpfte er im gesamten Wahlkampf gegen den Verdacht, die FDP würde im Zweifel wichtige politische Ziele preisgeben, wenn sie im Gegenzug wieder Pöstchen verteilen könne. „Wir wollen keine Zweitstimm­en von der CDU“war so ein Spruch, mit dem Lindner sich gegen derartige Vorurteile wehrte: „Wer eine andere Partei besser findet als die FDP, soll sie halt mit beiden Stimmen wählen.“Die große Gefahr, die Lindner sieht: Lässt er sich allzu bereitwill­ig auf ein Bündnis mit der CDU in NRW ein, könnte sein Image als unbeirrbar­er Überzeugun­gsPolitike­r darunter leiden. Denn jede Koalition verlangt Kompromiss­e. Lindners Gegner werden geradezu darauf lauern, an welcher Stelle die FDP sich auf die CDU zu- und von ihren eigenen Positionen wegbewegt – und das wenige Monate vor der Bundestags­wahl.

Ein erster kleiner Fehler ist Lindner nun aber doch unterlaufe­n. Im Wahlkampf hatte er stets verkündet, sich nach dem NRW-Wahltag auf den Weg Richtung Bundestag zu machen. Nun gefragt, ob er denn sein Abgeordnet­en- mandat in Düsseldorf vor der Bundestags­wahl aufgebe, erklärte er, dass er dies „im Tausch“machen werde. Sprich: Erst muss die FDP den Sprung in den Bundestag geschafft haben, bevor er die Brücken in NRW abbricht. Schnell fügte Linder aber hinzu, er bleibe bei seiner Überzeugun­g, lieber „einflusslo­ser Bundestags­abgeordnet­er als stellvertr­etender Ministerpr­äsident in NRW“sein zu wollen. Darauf sollten sich die Menschen verlassen können. Gestern hat ihn seine Landtagsfr­aktion zunächst mal zum Vorsitzend­en gewählt.

Das taktische Sträuben in NRW erklärt aber nicht, warum die FDP für so viele Wähler überhaupt schon wieder als Regierungs­partei infrage kommt. Das erstaunlic­he Comeback der Liberalen erklärt der Düsseldorf­er Politikwis­senschaftl­er Stefan Marschall so: „Der Die gelerntege Rechtsanwa­ltsfachhts­anwaltsfac­hangestell­teangest engagierte­gierte sich lange im KölnerKö Stadtrat.rat. Dort war sie auch a die bildungspo­litischedu­ngspolitis­che Sprecherin­Sprec ihrer Fraktion, bis sie 2012201 in den Landtagndt­ag einzog. In einemein schwarz-z-gelben Kabinett könntente sie Bildungsmi­nisterinni­sterin werden. Wenn Christian Lindner im Herbst nach Berlin geht, ist Joachim Stamp wohl bald die neue Nummer eins in der NRW-FDP. Bei Schwarz-Gelb könnte der Politikwis­senschaftl­er, der als Pragmatike­r gilt, Justizmini­ster werden. Erfolg ist vor allem personenge­bunden. Mehr noch als mit seiner Sachexpert­ise überzeugte Lindner die Wähler mit seinem Charisma.“Der junge FDP-Vorsitzend­e ist ein brillanter Redner. Er kann begründen, zuspitzen, wohldosier­t provoziere­n. Nicht zuletzt sein Werbespot, in dem sich Lindner in lässiger Schwarzwei­ß-Ästhetik inszeniert­e, erregte Aufsehen. Knapp eineinhalb Minuten lang zeigte sich Lindner bei alltäglich­en Szenen, etwa bei der Rasur Andreas Pinkwartnk­wart hätte gute Chancen auf einen Ministerpo­s-Ministerpo­sten, etwa als Finanzmini­ster.nanzminist­er. Von 2005 bis 2010010 war der heute 56-Jährige Wissenscha­ftsministe­renschafts­minister in NRW und zugleichug­leich stellvertr­e-stellvertr­etender Ministerpr­äsident. Andreas Reichelche­l war von 1994 bis 1996 Vize-e-Vorsitzend­er der FDP in NRW.W. Er ist Vorstands-Vorstandsm­itglied desdes brandenbur­gi-brandenbur­gischen Versorgung­sunterneh-orgungsunt­erneh- mens E.Dis AG. Er gilt als möglicherl­icher Wirtschaft­sminister. seines Drei-Tage-Barts oder im Unterhemd am Smartphone. „Er stellt sich gerne als junger, noch unverbrauc­hter Politiker dar“, sagt Marschall. Mit dieser Taktik avancierte Lindner schnell zu einem der beliebtest­en Politiker in NRW und trug entscheide­nd zur Verjüngung der Partei in den Köpfen der Wähler bei. Inhaltlich hingegen hat sich die FDP laut Marschall nicht gravierend gewandelt: „Die einzige programmat­ische Neuerung war, dass sich die FDP bei der Flüchtling­spolitik deutlich gegen Merkels Kurs positionie­rt hat.“Mit Forderunge­n nach einem geordneten Austritt für Euro-Mitgliedst­aaten, der Ablehnung von EU-Beitrittsg­esprächen mit der Türkei und nach einem eigenen Übergangss­tatus für Kriegsflüc­htlinge sprach die FDP auch Wähler an, die von der Politik der Kanzlerin enttäuscht sind, aber nicht die rechtspopu­listische AfD wählen wollen. „Die FDP hat den Vorteil, dass sie sich als Opposition­spartei darstellen kann“, sagt Marschall. Regierungs­parteien sind anfälliger für Kritik. Offenbar weiß Lindner diesen Wettbewerb­svorteil zu schätzen.

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