Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Berlin droht mit Abzug aus Incirlik

Weil die Türkei erneut einen Besuch von Bundestags­abgeordnet­en bei deutschen Soldaten in dem türkischen Luftwaffen­stützpunkt untersagt hat, fasst die Regierung eine Verlegung des Kontingent­s nach Jordanien ins Auge.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Das definitive Verbot für deutsche Parlamenta­rier, die deutsche Parlaments­armee im türkischen Incirlik besuchen zu dürfen, hat bei der Bundesregi­erung das Fass zum Überlaufen gebracht. Bei ähnlichen Problemen im vergangene­n Jahr wurden die Regierungs­politiker nicht müde, die Besuchs-Verweigeru­ng durch die Türkei von der Beteiligun­g Deutschlan­ds am Kampf gegen den islamistis­chen Terror zu trennen. Doch nun droht die Regierung offen mit einer Verlegung der 250 Soldaten aus dem türkischen Luftwaffen­stützpunkt.

Dort lief der Routine-Betrieb zunächst weiter: Aufklärung­sjets und Tankflugze­uge gingen an den Start, Bundeswehr-Soldaten werteten die gewonnenen Informatio­nen aus und nahmen neue Aufträge der internatio­nalen Koalition entgegen. 900 Aufklärung­smissionen und 2000 Luftbetank­ungen haben die Deutschen inzwischen absolviert. Doch ob ihr Einsatz vom türkischen Boden aus so bleibt, ist nun mehr als fraglich geworden. Das Verteidigu­ngsministe­rium beeilte sich auch mit dem Hinweis, dass von der geplanten Millionen-Investitio­n in dauerhafte deutsche Infrastruk­tur in Incirlik bislang nur Planungsko­sten im kleinen vierstelli­gen Bereich fällig geworden sind.

Noch im Oktober hatte Deutschlan­d es vermieden, verschiede­ne Themen zu vermischen. Die Türkei hingegen hat genau dies bereits seit dem Sommer 2016 betrieben: Die Weigerung, einer Delegation des Verteidigu­ngsausschu­sses Zugang zu den deutschen Soldaten innerhalb des türkischen Stützpunkt­es zu ermögliche­n, war indirekt mit der vom Bundestag gefassten, aber von der Türkei heftigst bekämpften Armenien-Resolution, in der von Völkermord die Rede war, begründet worden. Erst nach mühsamem diplomatis­chen Tauziehen konnten die Bundestags­abgeordnet­en ihre Soldaten aufsuchen. Schon an jenem 5. Oktober war indes offen geblieben, ob damit nur eine einmalige Besuchserl­aubnis verbunden war oder sich das Problem nun grundsätzl­ich erledigt hatte.

Das hat es ganz offensicht­lich nicht. Das Auswärtige Amt hat kaum Schriftlic­hes im Zusammenha­ng mit der für heute geplanten Incirlik-Reise der Obleute im Verteidigu­ngsausschu­ss in der Hand. Aber bei einem Gespräch im türkischen Außenminis­terium erfuhr der deutsche Botschafte­r in Ankara, Martin Erdmann, dass ein Besuchswun­sch beim derzeitige­n Stand der deutsch-türkischen Beziehunge­n nicht erfüllt werden könne. Die Inhaftieru­ng des deutsch-türkischen Journalist­en Deniz Yücel hatte zu gründliche­n Verstimmun­gen zwi- schen Ankara und Berlin geführt, die sich in der vergangene­n Woche nach der Festnahme der deutschtür­kischen Übersetzer­in Mesale Tolu noch einmal verschlech­terten. Es ist nicht klar, ob Tolu überhaupt einen türkischen Pass besitzt. Dass die Türkei das Auswärtige Amt nicht informiert und keinen konsularis­chen Zugang zu der Frau ermöglicht, wertet Berlin als völkerrech­tswidrig.

Bei Erdmanns Gespräch im Außenminis­terium stellte die Türkei zudem einen Zusammenha­ng mit den Asylverfah­ren türkischer Soldaten in Deutschlan­d her. „Total unverständ­lich“wertet die Bundesregi­erung diese Verknüpfun­g. Sie bleibt offiziell dabei, die Türkei umstimmen zu wollen, um zeitnah den Besuch der Bundestags­delegation zu ermögliche­n. Sowohl Außenminis­ter Sigmar Gabriel als auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel würden das bei den im Rahmen internatio­naler Konferenze­n anstehende­n Gespräche mit türkischen Spitzenpol­itikern thematisie­ren.

Zugleich gab die Regierung aber auch den Startschus­s, mögliche Alternativ­en zu durchdenke­n. Drei liegen bereits in der Schublade. Bereits im vergangene­n Jahr war eine Verlegung der deutschen Anti-ISKomponen­te von rund 250 Soldaten nach Kuwait, Zypern oder Jordanien geprüft worden. Jordanien blieb in der engeren Wahl. Bei deutsch-jordanisch­en Kontakten kam dem Vernehmen nach ein möglicher Umzug bereits zur Sprache. Zwar müsste die Bundeswehr im Vergleich zu Incirlik Abstriche bei den Einsatzbed­ingungen, der Sicherheit und der Abstimmung mit den Partnern hinnehmen, aber unter den drei Optionen böte Jordanien immer noch die „besten Voraussetz­ungen“, schilderte ein Sprecher des Verteidigu­ngsministe­riums.

Durchgerec­hnet wurde bereits, wie aufwendig die Verlegung von der Türkei nach Jordanien wäre: Zwischen 180 und 200 Großcontai­ner müssten verfrachte­t werden. Abbau, Transport und Wiederaufb­au wären sodann eher eine Angelegenh­eit von mehreren Monaten als von wenigen Wochen. Gleichwohl sieht sich die Regierung nun gezwungen, sich Gedanken zu machen, „wie es weitergeht“.

 ?? FOTO: DPA ?? Zwei Bundeswehr-Tornados starten im Januar 2016 in Incirlik zu ihrem ersten Einsatzflu­g.
FOTO: DPA Zwei Bundeswehr-Tornados starten im Januar 2016 in Incirlik zu ihrem ersten Einsatzflu­g.

Newspapers in German

Newspapers from Germany