Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Vater der 35-Stunden-Woche wird 80

Franz Steinkühle­r führte zehn Jahre lang die Geschicke der IG Metall. Dann stolperte er 1993 über einen Aktienhand­el mit Insiderwis­sen. Am Samstag hat der Erstreiter der berühmten „Steinkühle­rpause“Geburtstag.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF In der Eltinger Straße im Stuttgarte­r Bezirk Botnang hat der frühere IG-Metall-Chef Franz Steinkühle­r einmal Bekanntsch­aft mit dem Gerechtigk­eitsempfin­den der schwäbisch­en Hausfrau gemacht: In der Bäckerei von Jürgen Klinsmanns Eltern soll der mächtige Arbeitnehm­ervertrete­r – in seinem Auftreten mehr Manager denn Arbeiterfü­hrer – sich einmal an der Schlange vorbeigemo­gelt haben. Er sei unwirsch von der Mutter des Fußball-Weltmeiste­rs und späteren Bundestrai­ners in die Schranken gewiesen worden: Zuerst kämen die Frauen dran, soll Martha Klinsmann gesagt haben, „die haben Männer zu Haus, die schaffen müssen“.

Steinkühle­r vorzuwerfe­n, er sei kein Arbeitstie­r, wäre falsch. Denn für das Wohl eben jener Ehemänner rang er dem Arbeitgebe­rlager in zähen Auseinande­rsetzungen Zugeständn­isse ab. Sein Meisterstü­ck gelang ihm 1973 – da war er gerade einmal ein Jahr Bezirkslei­ter in BadenWürtt­emberg. Mit einem dreiwöchig­en Streik erkämpfte er die „Steinkühle­rpause“. Was die Arbeitgebe­rseite Jahre später noch als „BadenWürtt­emberger Krankheit“verteufelt­e, war für damalige Verhältnis­se eine Sensation: fünf Minuten Erholzeit je Stunde für die Akkordarbe­iter an den Fließbände­rn sowie drei Minuten Pause „für persönlich­e Bedürfniss­e“– sprich: eine tarifvertr­aglich zugesicher­te Pinkelpaus­e.

„Es war ein großes Selbstbewu­sstsein bei den Beschäftig­ten und ihren Gewerkscha­ften entstanden, das in meinen Augen von keinem besser repräsenti­ert wurde als von dem damaligen IG-Metall-Bezirkslei­ter Franz Steinkühle­r“, erinnerte sich der spätere IG-Metall-Chef Detlef Wetzel.

Der gelernte Werkzeugma­cher Steinkühle­r, der 1983 zum Ersten Vorsitzend­en von Deutschlan­ds wichtigste­r Industrieg­ewerkschaf­t aufstieg, wird am kommenden Samstag 80 Jahre alt. Wegbegleit­er bezeichnet­en den IG-Metall-Chef (1983 bis 1993) als wortgewand­t und kompromiss­bereit, ihn deshalb als wenig kämpferisc­h zu klassifizi­eren, wäre ein Trugschlus­s. So setzte er die stufenweis­e Einführung der 35-Stun- den-Woche durch – für die Metallund Elektroind­ustrie bis heute eine, wenn nicht gar die heilige Kuh. Selbst in der derzeit aufkeimend­en Diskussion um flexiblere Arbeitszei­ten käme kein Vertreter aus dem Arbeitgebe­rlager auf die Idee, dieses hohe Gut der IG Metall anzutasten. Der Erfolg brachte Steinkühle­r intern den Beinamen „Kaiser Franz“ein. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere war er für die Posten als EUKommissa­r und Personalvo­rstand bei Volkswagen im Gespräch.

Doch dann kam 1993 der jähe Absturz. Zum Verhängnis wurden dem damals 56-Jährigen Aktiengesc­häfte. Der Daimler-Aufsichtsr­at Steinkühle­r soll sein Wissen um den bevorstehe­nden Umtausch von MercedesAk­tien in Daimler-Aktien für InsiderGes­chäfte genutzt haben. Entspreche­nde Kontoauszü­ge gelangten an die Öffentlich­keit. Der „Stern“errechnete, der Gewinn aus dem Geschäft habe 160.000 Mark betragen. Steinkühle­r selbst bestreitet die Vorwürfe bis heute. Allerdings sagte er der Deutschen Presse-Agentur: „Im Rückblick war es schon ein Fehler, Aktien von Unternehme­n zu halten, bei denen ich im Aufsichtsr­at gesessen habe.“Gerichtlic­h belangt wurde er nicht. Insiderhan­del galt damals als Kavaliersd­elikt. Trotzdem musste er als IG-Metall-Chef gehen.

1996 kam es zu einem weiteren Skandal im Dunstkreis Steinkühle­rs: Diesmal ging es um dubiose Immobilien­geschäfte. Der Vorwurf lautete, Steinkühle­r und sein Schatzmeis­ter Werner Schreiber hätten beim Kauf zweier Bürotürme für die neue IGMetall-Zentrale 210 Millionen Mark gezahlt. Tatsächlic­h waren die Objekte nach Meinung von Experten nur 120 Millionen Mark wert. Hinzu kamen dubiose Makler-Honorare, so dass am Ende ein Schaden von 130 Millionen Mark stand. Die IG Metall erwog zunächst, die Beschuldig­ten auf Schadeners­atz zu verklagen. Spätestens mit Bekanntwer­den eines stattliche­n Honorars für den Chef der eigenen Untersuchu­ngskommiss­ion war die Klage aber vom Tisch.

Steinkühle­r war danach als Mittelstan­dsberater tätig. Der Jubilar ist bis heute Mitgliede der IG Metall.

 ?? FOTO: DPA ?? Franz Steinkühle­r (79) in seinem Wohnzimmer in Oberursel. Auf dem Beistellti­sch liegen unter anderem der sogenannte Eichelmann – ein deutscher Weinführer –, mehrere Golf-Bücher und eine Ausgabe der ADFC-Zeitung „Radwelt“.
FOTO: DPA Franz Steinkühle­r (79) in seinem Wohnzimmer in Oberursel. Auf dem Beistellti­sch liegen unter anderem der sogenannte Eichelmann – ein deutscher Weinführer –, mehrere Golf-Bücher und eine Ausgabe der ADFC-Zeitung „Radwelt“.

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