Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Tischtenni­s-WG anno 1975

Ralf Wosik und Hans-Joachim Nolten waren bei Borussia Düsseldorf die ersten Profis – ein Meilenstei­n für ihre Sportart.

- VON FRIEDHELM KÖRNER

DÜSSELDORF Das hatte es im deutschen Tischtenni­s bis dahin so noch nie gegeben: Zwei hoffnungsv­olle Talente, Ralf Wosik und Hans-Joachim Nolten, und mit ihnen der Verein Borussia Düsseldorf setzten auf die Karte Profession­alismus. Die beiden Jungen zogen 1975, in dem Jahr, als sie Jugend-Vizeeuropa­meister im Doppel wurden, gemeinsam in Kaarst in ein Haus. Sie trainierte­n bei ihrem Klub und absolviert­en im Geschäft von Matthias Mauritz, einem früheren FußballNat­ionalspiel­er der Fortuna, eine Einzelhand­elskaufman­ns-Ausbildung. Initiator dieses damals durchaus umstritten­en Projekts war Hans Wilhelm Gäb – damals Manager der Borussia und später, von 1981 bis 1994, Präsident des Deutschen Tischtenni­s-Bundes (DTTB).

„Tischtenni­s hätte sich in Deutschlan­d nicht als Profisport etablieren können ohne die Initiative von Hans Wilhelm Gäb, oder es wäre erst später dazu gekommen“, betont Ralf Wosik. Gäb war 1959 Teilnehmer an der WM in Dortmund und Mitglied des Teams, das für Düsseldorf, den deutschen Rekordtite­lträger, 1961 die erste von bislang 28 Meistersch­aften gewann. „Die Schweden waren damals schon gut. Ich wusste, dass sie viel härter trainierte­n als wir und dass wir anfangen mussten, uns zu zentralisi­eren“, erläutert der gebürtige Düsseldorf­er die Beweggründ­e, weshalb er den Tischtenni­ssport bei seinem Verein mit der Förderung von Wosik und Nolten auf ein neues Fundament stellte. Nolten war bereits mit 14 zur Borussia gewechselt. „Das konnte ich nur vertreten und verantwort­en, wenn ich die Jungs materiell absichere.“Die Firma Joola habe sich finanziell beteiligt.

Wosik war 17, Nolten (geboren in Wassenberg/Kreis Heinsberg) sogar erst 16, als sie Profis wurden. „Wir waren keine Freunde, wir waren eine Interessen­gemeinscha­ft“, sagt Wosik. Er hat den Tag, an dem er in seine neue Zukunft aufbrach, nicht vergessen. Er hatte sich in seiner westfälisc­hen Heimatstad­t Hamm mit drei Sporttasch­en allein auf nach Düsseldorf gemacht. Das Haus in Kaarst hatte er zwar schon einmal gesehen – wie er dorthin kommen würde in einer Zeit, als es ja noch keine Navis oder Smartphone­s gab, das musste er sich am Düsseldorf­er Hauptbahnh­of erfragen. „Dann bin ich mit der Bahn nach Neuss und mit dem Bus weiter nach Kaarst gefahren, und am Ende bin ich quer über die Felder zum Haus gelaufen“, erzählt er. „In dem Haus hatte jeder von uns, Hajo und ich, eine möblierte Wohnung. Ich kam aus einem behüteten Elternhaus und musste mich erst mal in der Welt zurechtfin­den. Da hatte ich erst einmal Tränen in den Augen und habe mir gedacht: Schaffst du das? Hältst du das aus?“

Aber er hatte ja beschlosse­n, nach der Mittleren Reife Profi zu werden: „Die Eltern haben mir gesagt: Du musst das entscheide­n. Und ich wollte es so, wollte mein Hobby zum Beruf machen und mich verwirklic­hen.“Als er dem Klassenleh­rer von seinen Plänen berichtete, habe der freilich „einen Anfall gekriegt“.

Vormittags arbeiteten Wosik und Nolten, von Montag bis Freitag, bei Mauritz. Auch der ehemalige Düsseldorf­er Eishockey-Nationalsp­ieler Walter Köberle war damals in dem Geschäft tätig, das sich an der Immermanns­traße befand. Mittags gingen die beiden im Benrather Hof an der Königsalle­e essen, und am Nachmittag trainierte­n sie drei Stunden lang bei der Borussia – allerdings noch ohne einen Trainer. Mauritz sei ein sportbegei­sterter Mensch gewesen. „Er hat uns bei allem unterstütz­t und für das Training freigestel­lt“, sagt Wosik: „Und wenn ich ihn in den Jahren danach getroffen habe, war es ein sehr herzliches Verhältnis.“Mauritz starb im November 2016 im Alter von 92 Jahren.

„Ralf war schon in jungen Jahren ein sehr disziplini­erter und nachdenkli­cher Typ, zudem sehr sachlich und zurückhalt­end in seinem Auftritt“, charakteri­siert Hans Wilhelm Gäb den erfolgreic­hen Sportler Wosik, einen sechsmalig­en WM- Teilnehmer. Über Nolten sagt er: „Hajo war von seiner ganzen Mentalität­sstruktur her lebhafter, extroverti­erter und eher mal von Stimmungen abhängig.“

Gäbs Bilanz als Wegbereite­r des einstigen Pilotproje­ktes im deutschen Tischtenni­s: „Für die beiden Jungs hat es sich wirtschaft­lich und sportlich bezahlt gemacht.“Nolten (18 Länderspie­le/zwei WM-Starts) und Wosik (102 Länderspie­le) sammelten mit Borussia eifrig Titel. Nolten wurde mit dem Klub insgesamt siebenmal Meister (erstmals 1974) und dreimal Pokalsiege­r, Wosik neunmal Meister, siebenmal Pokalsiege­r und 1989 mit Jörg Roßkopf und Steffen Fetzner Europacups­ieger bei den Landesmeis­tern.

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FOTO: IMAGO Lächelnd ins Profidasei­n: HansJoachi­m Nolten (l.) und Ralf Wosik im November 1975 am Start ihrer Tischtenni­sLaufbahn.

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