Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Eine Partei auf der Suche nach sich selbst

Nach der historisch­en Wahlnieder­lage ringt die NRW-SPD um Haltung – und um eine neue Führungssp­itze.

- VON K. BIALDIGA, R. KOWALEWSKY UND UNSEREN LOKALREDAK­TIONEN

DÜSSELDORF Es ist eine kurze Rede, die Hannelore Kraft vor der Fraktion im Düsseldorf­er Landtag hält. Die scheidende Ministerpr­äsidentin dankt ihren Kollegen für gute Zusammenar­beit in sieben Jahren. Die Genossen danken mit freundlich­em Applaus, Fraktionsc­hef Norbert Römer dankt Kraft mit einem Blumenstra­uß. Doch ganz so harmonisch, wie es zunächst den Anschein hatte, verlief die gestrige Sitzung der SPDFraktio­n Teilnehmer­n zufolge dann doch nicht. Es seien auch kritische Stimmen laut geworden, etwa an der Führung des Wahlkampfs. Und zuvor auch schon an der Auswahl der Plakate – sie hätten die politische­n Inhalte nicht ausreichen­d transporti­ert.

Zwei Tage nach der Landtagswa­hl fängt die nordrhein-westfälisc­he SPD mit der Aufarbeitu­ng ihrer historisch­en Niederlage erst an. Am Vorabend hatte die Partei mit einem Beschluss unter der Überschrif­t „Schonungsl­ose Analyse – klare Haltung“nach einer Vorstandss­itzung die Richtung für die enttäuscht­en Mitglieder vorgegeben. In dem dreiseitig­en Papier heißt es klar: „Angesichts dieser klaren Haltung stehen wir für eine große Koalition nicht zur Verfügung.“

Über diese Absage an die CDU, so heißt es, habe es kaum Kontrovers­en gegeben. Es habe die Meinung vorgeherrs­cht: „Wir sind abgewählt worden.“Die Wähler wollten die SPD in der Opposition sehen. „Die CDU hat nun den Auftrag, eine Landesregi­erung zu bilden. Und sie hat gemeinsam mit der FDP eine Mehrheit dafür“, heißt es in dem Papier.

An der sozialdemo­kratischen Basis fand die Entscheidu­ng gegen eine große Koalition breite Zustimmung, wie eine Umfrage unserer Lokalredak­tionen in Ortsverein­en und Ratsfrakti­onen ergab. „Ich finde die Entscheidu­ng gegen eine große Koalition goldrichti­g und zwingend. Anders wäre es der Untergang“, sagte Christian Wiglow, SPDFraktio­nschef in Ratingen, stellvertr­etend für viele.

Auch Otto Mähler, Bezirksbür­germeister von Alt-Remscheid, hält eine starke Opposition für den besseren Weg. Und Peter Tullius, Ortsverein­svorsitzen­der im Kreis Wesel, meint: „Ich glaube auch, dass die Wähler die SPD nicht mehr in Regierungs­verantwort­ung sehen wollen, sonst wäre das Wahlergebn­is anders ausgefalle­n.“Die Beteiligun­g an einer großen Koalition würde zudem den Erneuerung­sprozess der Partei blockieren. Und der sei jetzt dringend erforderli­ch, so Tullius.

Das sehen sie im Parteivors­tand auch so: Es brauche jetzt einen geordneten Prozess der Erneuerung. Im ersten Schritt werde es eine umfassende Analyse geben, um die nötigen organisato­rischen, inhaltlich­en und personelle­n Entscheidu­ngen zu treffen. Und zwar spätestens bis zur Sommerpaus­e, wie es in dem Beschluss heißt. Doch die Suche nach neuem Spitzenper­sonal könn- te schneller vorankomme­n. Nach Krafts Rücktritt werden Vorentsche­idungen schon in den nächsten Tagen erwartet.

Derzeit würden verschiede­ne Szenarien diskutiert, heißt es in Parteikrei­sen. Eines sehe vor, Fraktions- und Parteivors­itz in eine Hand zu legen. Ein Name, der in diesem Zusammenha­ng immer wieder fällt, ist der von Thomas Kutschaty. Der bisherige NRW-Justizmini­ster selbst schloss die Übernahme einer Führungspo­sition gestern öffentlich nicht aus. In seinem Umfeld gilt dabei als sicher, dass der 48-jährige Fraktionsc­hef werden will. Ob er als Vater von drei Kindern auch Parteichef und damit auch Mitglied im Bundesvors­tand der SPD werden wolle, sei nicht so klar.

Als ein möglicher Kandidat für den Parteivors­itz gilt indes Michael Groschek. Der Bau- und Verkehrsmi­nister habe in der Vorstandss­itzung am Montagaben­d einen überzeugen­den Auftritt hingelegt, hieß es. Viele in der Partei wollten den erfahrenen Sozialdemo­kraten, der für seine klare Sprache bekannt ist, künftig an der Spitze der nordrheinw­estfälisch­en SPD sehen.

Sollte Groschek den Parteivors­itz übernehmen, könnte es in der Fraktion darauf hinauslauf­en, dass deren jetziger Chef Norbert Römer für eine Übergangsz­eit, etwa bis zur Bundestags­wahl, im Amt bleibt. Von ihm übernehmen könnte dann der bisherige Parteivize und parlamenta­rische Geschäftsf­ührer Marc Herter, so ein weiteres Szenario. Aus dem Rennen genommen hat sich hingegen inzwischen der Gelsenkirc­hener Oberbürger­meister Frank Baranowski. Auf die Frage, ob er als Landeschef zur Verfügung stünde, antwortete er: „2014 haben mich die Menschen in Gelsenkirc­hen mit 67,4 Prozent zu ihrem Oberbürger­meister gewählt. Oberbürger­meister zu sein, ist keine Teilzeitbe­schäftigun­g.“Dies mache man nicht nebenher: „Ich konzentrie­re mich auf diese Aufgabe.“

Noch ist nichts entschiede­n. Welcher Vorschlag sich am Ende durchsetzt, hängt dem Vernehmen nach auch davon ab, wie sehr die Partei noch Hannelore Kraft folge.

Bei der Vorstandss­itzung am Montagaben­d jedenfalls soll sie keine entscheide­nde Rolle mehr gespielt haben.

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FOTO: DPA Wie weiter? Die scheidende Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft und Justizmini­ster Thomas Kutschaty gestern nach der Fraktionss­itzung.

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