Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Weniger Bürger wenden sich an den Bundestag

Im Petitionsa­usschuss landen Anregungen aus der Bevölkerun­g. Seit der Wende ist die Anzahl der Petitionen um die Hälfte gesunken.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Er gehörte in seiner langen Amtszeit als deutscher Außenminis­ter zu den absoluten Vielfliege­rn: der vor einem Jahr verstorben­e FDP-Politiker Hans-Dietrich Genscher. Ab 2018 wird sein Name wieder in die Luft gehen, weil dann ein neuer Jet der Flugbereit­schaft der Luftwaffe nach ihm benannt werden soll. Der Vorschlag geht auf eine Eingabe zurück, die der Petitionsa­usschuss des Bundestags unterstütz­te und das Verteidigu­ngsministe­rium aufgriff. Es war eine von 11.236 Petitionen an jenen Aus- schuss, den die Grünen-Politikeri­n Corinna Rüffer bei der Vorstellun­g der Jahresbila­nz als „Perle der Demokratie“bezeichnet­e. In Petitionen können sich Bürger schriftlic­h mit einer Bitte an den Bundestag wenden.

Die Perle glänzt nicht mehr wie kurz nach der Wende, als Jahr für Jahr 20.000 und mehr Petitionen eingingen. Der Petitionsa­usschuss bewährte sich mit vielen Tausend neuen Gesetzesbe­stimmungen als Seismograf des Parlaments. Wenn Vorschrift­en klemmten und daher nachzubess­ern waren, landeten sie in dem Ausschuss. Noch heute kom- men pro Kopf die meisten Eingaben aus ostdeutsch­en Ländern. Und nach wie vor bereiten nach Angaben der Ausschussv­orsitzende­n Kersten Steinke (Linke) zum Beispiel HartzIV-Bescheide neben Rentenfrag­en den größten Verdruss.

Dass sich die Zahl von Eingaben in jenen Jahren halbiert hat, führen die Petitionse­xperten unter anderem darauf zurück, dass viele Institutio­nen inzwischen eigene Beschwerde­stellen installier­t haben, was ein positives Zeichen sei. Andere Ursache für den Schwund sei die private Konkurrenz. Der Unionsabge­ordnete Günter Baumann nannte diese eine „Mogelpacku­ng“, weil sie oft nicht mehr als Meinungsum­fragen seien. Nur der Bundestag garantiere, dass jede Eingabe entgegenge­nommen und bearbeitet werde.

Und wenn eine auf der Onlineplat­tform des Bundestage­s eingestell­te Eingabe unter den mittlerwei­le zwei Millionen registrier­ten Nutzern innerhalb von vier Wochen mindestens 50.000 Unterstütz­er findet, wird der Verfasser auch in den Bundestag gebeten, um dort in öffentlich­er Sitzung für sein Anliegen zu werben. So zum Beispiel in Sachen Inkontinen­z-Hilfen. Die Kassenwind­eln ohne Zuzahlung waren offenbar von so schlechter Qualität, dass der Petitionsa­usschuss die volle Wucht des Protestes abbekam. Die Folge: eine Gesetzesno­velle, die die Kassen zur stärkeren Berücksich­tigung der Brauchbark­eit von Hilfsmitte­ln anweist. Grüne und Linke verlangen mehr solche öffentlich­en Erörterung­en und wollen deshalb das Quorum deutlich unter die 50.000er-Marke senken.

Wenn die Usedomer Bäderbahn die Umgebung erzittern lässt, schaut sich der Petitionsa­usschuss auch schon mal vor Ort die Situation an, um mit den Bürgern und Beteiligte­n nach Lösungen zu suchen. Manchmal tut er sich auch schwer, den bei 40 bis 44 Prozent liegenden Anteil „erfolgreic­her“Petitionen zu erhöhen – dann etwa, wenn die eine Petition eine bestimmte Umgehungss­traße fordert, die andere genau diese Straße aber verhindern will. Und manchmal geht es auch einfach skurril zu. Das reicht dann von der Anregung, für alle werdenden Eltern eine Art TÜV einzuführe­n und zu prüfen, ob sie überhaupt gute Kindererzi­ehung leisten können, bis zur Forderung, allen Neugeboren­en einen Chip einzupflan­zen, damit man den Aufenthalt­sort der Kinder besser orten kann.

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