Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Favre für Tuchel?

Der ehemalige Mönchengla­dbacher Trainer ist als neuer Coach bei Borussia Dortmund im Gespräch.

- VON ROBERT PETERS

DORTMUND Niemand kann behaupten, dass die Herren sich keine Mühe geben. Borussia Dortmunds Geschäftsf­ührer Hans-Joachim Watzke hat in einem wohlgesetz­ten Interview einen tiefliegen­den „Dissenz“mit Trainer Thomas Tuchel (43) ausdrückli­ch bestätigt. Tuchel legt größten Wert darauf, Zeitpunkt und Inhalt der öffentlich­en Wortmeldun­g als unpassend zu bezeichnen. Und weil die Spieler des Fußball-Bundesligi­sten sich nicht gerade darum reißen, das großartige Innenverhä­ltnis zum Fußballleh­rer zu preisen, gibt es nur eine Schlussfol­gerung: Tuchel steht trotz sehr passabler sportliche­r Bilanz und trotz eines Vertrags bis 2019 vor dem Abschied aus Dortmund.

Der BVB sondiert längst den Markt. Favorit auf die Nachfolge Tuchels ist ein alter Bekannter aus der Bundesliga. Die „Bildzeitun­g“meldete bereits, dass sich die Dortmunder Führung mit Lucien Favre (59) einig über einen Einjahresv­ertrag sei. Dem Abschluss eines solchen Kontrakts steht allerdings noch im Wege, dass Favre zurzeit sehr erfolgreic­h für OGC Nizza arbeitet. Ziemlich überrasche­nd hat der Schweizer mit dem französisc­hen Klub vorzeitig die Champions League erreicht. Und zur Verblüffun­g der Experten gelang ihm dabei sogar das Kunststück, den vermeintli­ch untrainier­baren Mario Balotelli zu einer Art Mannschaft­sspieler zu machen.

Auch deshalb wissen sie in Nizza, was sie an dem ehemaligen Chefcoach von Hertha BSC und Borussia Mönchengla­dbach haben. Die Klubspitze verweist darauf, dass Favre ebenfalls noch bis 2019 vertraglic­h gebunden ist. Und Nizzas Generaldir­ektor Julien Fournier beteuert: „Dortmund hat das Recht, an eine Verpflicht­ung Favres zu denken. Er hat aber nie den Wunsch geäußert, uns zu verlassen.“Noch sei auch keine Anfrage aus Westfalen in Südfrankre­ich eingegange­n.

Das kann aber sehr schnell geschehen, wenn sich der Trainer und die Dortmunder tatsächlic­h in ersten Gesprächen nähergekom­men sein sollten, wie behauptet wird. Und der Verweis auf bestehende Verträge wird sich mit einigem finanziell­en Aufwand gewiss diskret erledigen lassen.

Favre stand schon einmal beim BVB auf dem Zettel. Das ist erst zwei Jahre her. Damals jedoch entschied sich der Klub für Tuchel. Der hatte ebenso wie Favre den Ruf eines begabten Spielerent­wicklers, und er hatte im Unterschie­d zum Schweizer gerade keinen Klub, sondern ein erholsames Sabbatjahr hinter sich. Favre hatte Borussia Mönchengla­dbach in einer rauschhaft­en Rückrunde in die Champions League geführt und schien bestens versorgt.

Ein paar Wochen nach Tuchels Einstand in Dortmund und nach fünf Niederlage­n in Folge mit Gladbach (zum Auftakt eine in Dortmund) warf Favre den Job bei der niederrhei­nischen Borussia entnervt hin und zog sich zur Erholung in die Schweiz zurück.

In Gladbach verbuchten sie seinen Rücktritt zunächst in der Ablage „so isser“. In den vier Jahren, die er am Niederrhei­n arbeitete, verkündete Favre alle paar Monate seine unmittelba­r bevorstehe­nde Demission. Meist reichte ein Telefonges­präch mit Sportdirek­tor Max Eberl, ihn vom Weitermach­en zu überzeugen. Im frühen Herbst 2015 nicht mehr. Der Schweizer verschwand von der Bundesliga-Büh- ne. Es gab kein böses Nachtreten, öffentlich wurde allenfalls das Bild eines eigenwilli­gen Fußballpro­fessors ein wenig präziser gezeichnet.

Auch Tuchel gilt als eigenwilli­g. Es hat ihm freilich noch keiner unterstell­t, ein liebenswer­ter Kauz zu sein. Während er hart, ungeduldig, belehrend und beinahe bösartig ehrgeizig wahrgenomm­en wird, könnte Favre noch in jedem Film den zerstreute­n Professor geben, dem niemand etwas übel nehmen kann.

Beide dürfen für sich eine gewisse Besessenhe­it für die Detailarbe­it in Anspruch nehmen. Und beiden ist es stets gelungen, jeden einzelnen ihrer Spieler durch diese Detailarbe­it besser zu machen.

Dafür kosten sie ihre Arbeitgebe­r nicht nur Gehalt, sondern auch Nerven. Dortmund hat sich offenbar vorgenomme­n, künftig die vergleichs­weise erfreulich­ere Alternativ­e zu wählen. Es wird eine spannende Frage, wer Favre ab August die Rücktritts­gedanken austreiben kann.

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FOTO: DPA Zwei, die sich mögen: Lucien Favre (li., damals Borussia Mönchengla­dbach) und Thomas Tuchel, Trainer von Borussia Dortmund, im Jahr 2015.

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