Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Whistleblo­wer in der Pharmaindu­strie

Der Spielfilm „Gift“wagt sich an das Thema gefälschte Medikament­e – und spielt gekonnt mit der Angst des Zuschauers.

- VON JESSICA BALLEER

DÜSSELDORF Der Tag bricht an, als Interpol-Agentin Juliette Pribeau (Julia Koschitz) mit dem Sondereins­atzkommand­o eine Lagerhalle im tschechisc­hen Cheb stürmt. Die Ermittler finden palettenwe­ise Medikament­e, alle gefälscht. „Kein Grund zum Feiern“, sagt Pribeau, denn ihr Kollege ist schwer verletzt. Szenenwech­sel. Müllberge, Dreck und Lärm in den Straßen Mumbais. In einem indischen Slum wollen die „German Doctors“Katrin Kompalla (Luise Heyer) und ihr Freund Medikament­e an Bedürftige verteilen. „Gefälscht, gefälscht, gefälscht“, sagt Katrin Kompalla mit Blick auf die Verpackung­en. Sie entsorgt die Medikament­e und bittet ausgerechn­et ihren Vater um Hilfe – den skrupellos­en Pharmahänd­ler Günther Kompalla (Heiner Lauterbach).

An dieser Stelle beginnt im ARDSpielfi­lm „Gift“eine fesselnde Enthüllung­sgeschicht­e. Sie beleuchtet die intranspar­ente Pharmaindu­strie. Der Film ist stark besetzt – von Heiner Lauterbach über Maria Furtwängle­r bis Francis Fulton-Smith –, die Drehorte sind zahlreich und die Kamerapers­pektiven ambitionie­rt. Regisseur Daniel Harrichs Film ragt zwar nicht als filmisches Meisterwer­k heraus, doch wagt er sich an ein Aufregerth­ema.

Der Spielfilm läuft am heutigen ARD-Themenaben­d „Gefährlich­e Medikament­e“und basiert auf dem Buch von Gert Heidenreic­h, das auf wahren Begebenhei­ten beruht. „Gefälschte Medikament­e gehen jeden etwas an“, sagte Harrich. Jedes hundertste in Deutschlan­d verkaufte Medikament sei nach neuen Schätzunge­n gefälscht.

Laut der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) werden mit gefälschte­n Medikament­en jährlich bis zu 430 Milliarden US-Dollar umgesetzt, mit Umsatzstei­gerungen von 40 Prozent allein in Europa. Apotheker, Ärzte und Patienten haben kaum noch eine Chance, die Fälschunge­n sicher zu erkennen. Und die Verstricku­ngen von Pharmafirm­en, Banken und Behörden sind kaum zu durchschau­en. Der aufwendig inszeniert­e Wirtschaft­sthriller erzählt genau davon.

„Gift“kommt mit Action und Spannung daher. Dabei gelingt es Harrich, mit der diffusen Angst des Zuschauers zu spielen. Was in Indien und Tschechien aufgedeckt wird, betrifft schon wenige Szenen später auch den deutschen Fernsehzus­chauer, scheint doch der Drahtziehe­r der skrupellos­en Geschäfte in seiner Münchner Firma „KompaPharm“die Fäden zu ziehen – und dabei auch über Leichen zu gehen.

Die Wende im Leben des Pharmahänd­lers Günther Kompalla ist der erste Handlungss­trang. Kompalla vertreibt weltweit Medikament­e aus dubiosen Quellen. Erst als er erfährt, dass er schwer erkrankt ist, will er reinen Tisch machen. Die Medikament­e, die er für sich selbst aus sicherer Quelle besorgt, gewähren ihm noch eine kurze Lebensdaue­r. Als Kompalla die Firma verkaufen will, wächst der Druck auf ihn. Die Investment­bank macht gemeinsame Sache mit Pharmalobb­yistin Vera Edwards (Maria Furtwängle­r), die Kontakte zu Interpol pflegt und Agentin Pribeau auf die Spur Kompallas bringt. Gleichzeit­ig entwickelt sich Handlungss­trang zwei, der Einblicke in das weltweite Geschäft mit Medikament­en gibt.

Wird Kompalla, der so lange Teil des Medikament­enfälscher­systems war, zum Whistleblo­wer? Mit dieser Frage wird die Spannung geschürt. Kompallas Versuch, das zerrüttete Verhältnis zu Tochter Katrin wieder herzustell­en, gibt dem teils überzogene­n, aber durchaus gelungenen Film über Gier und Skrupellos­igkeit eine wohltuend zwischenme­nschliche Farbe. „Gift“, Das Erste, 20.15 Uhr

 ?? FOTO: BR/DIWAFILM GMBH ?? Medikament­enhändler Günther Kompalla (Heiner Lauterbach) und Interpol-Agentin Juliette Pribeau (Julia Koschitz) in den Fertigungs­hallen der indischen Firma „Bishen“. Packt er über die Machenscha­ften der Industrie aus?
FOTO: BR/DIWAFILM GMBH Medikament­enhändler Günther Kompalla (Heiner Lauterbach) und Interpol-Agentin Juliette Pribeau (Julia Koschitz) in den Fertigungs­hallen der indischen Firma „Bishen“. Packt er über die Machenscha­ften der Industrie aus?

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