Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Amris Drogenhand­el früh bekannt

Die veränderte­n Ermittlung­sakten über den Berlin-Attentäter sind nicht die einzigen Hinweise auf Fehlverhal­ten der Behörden. Ein weiteres Verfahren zeigte früh die Verwicklun­g Amris in Drogengesc­häfte.

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND GREGOR MAYNTZ

BERLIN Die nun aufgedeckt­e Aktenmanip­ulation im Landeskrim­inalamt in Berlin ist nicht der einzige Hinweis darauf, dass der Weihnachts­marktansch­lag mit zwölf Toten und 55 Verletzten hätte verhindert werden können. Auch weitere vertraulic­he Akten, die unserer Redaktion vorlegen, weisen darauf hin, dass der spätere Attentäter Anis Amri den Behörden nicht nur als Gelegenhei­tsdealer bekannt war und er deshalb hätte aus dem Verkehr gezogen werden können.

Am Mittwoch hatte der Berliner Senat von einer Anzeige wegen Strafverei­tlung gegen die eigene Polizei berichtet, nachdem der Sonderermi­ttler, der frühere Bundesanwa­lt Bruno Jost, auf Widersprüc­he in den Akten gestoßen war. Danach war Amri am 1. November 2016 in den elektronis­chen Ermittlung­sakten als gewerbsmäß­iger Drogenhänd­ler eingestuft worden. Dieses Dokument fehlte in den Papier-Akten. In diese wurde am 17. Januar unter dem Datum vom 1. November ein Vermerk abgeheftet, wonach Amri nur Kleindeale­r sei. Das Attentat wurde am 19. Dezember verübt.

Nach Informatio­nen unserer Redaktion gab es Hinweise, dass Amri regelmäßig mit Drogen handelte, auch schon im Rahmen eines Verfahrens wegen gefährlich­er Körperverl­etzung vom Sommer 2016. Hauptverdä­chtiger in diesem Verfahren war den Akten zufolge zwar ein Mohmad K., der eine Kontaktper­son von Amri war. Dieser K. soll Amri jedoch, so heißt es in den Akten, im Betäubungs­mittelhand­el angelernt und fortan Amris Drogenhand­el und den einer weiteren Person mit Spitznamen „Mohammad Ali“gesteuert haben.

Bei diesem Verfahren wegen gefährlich­er Körperverl­etzung ging es um einen Messerangr­iff im Juli 2016 in einer Cocktailba­r in Berlin-Neukölln, bei der eine Person schwer verletzt wurde. Amri soll am Tatort mit einem Hammer um sich geschlagen haben. Da sein Aufenthalt­sort seinerzeit nicht ermittelt werden konnte, war er zur Fahndung ausgeschri­eben worden. Der Generalsta­atsanwalt in Berlin räumte gestern ein, im Rahmen dieses Verfahrens seien durch die Überwachun­g von Amris Telefon Anhaltspun­kte dafür gewonnen worden, dass Amri zwar in kleinem Umfang, aber wiederkehr­end Drogen-Geschäfte tätigte. Die Behörde habe daraufhin die Polizei aufgeforde­rt, mit diesen Erkenntnis­sen einen neuerliche­n Ermittlung­svorgang anzulegen, und zwar auch deswegen, weil der Verdacht eines gewerbsmäß­igen Drogenhand­els Grundlage für verdeckte Maßnah- men hätte sein können. Ein solcher Vorgang wegen Verstoßes gegen das Betäubungs­mittelgese­tz sei auch am 20. Oktober eingeleite­t worden, teilte die Berliner Behörde auf Anfrage weiter mit.

In Düsseldorf befragte der AmriUnters­uchungsaus­schuss seine letzten Zeugen. Vermutlich werden sowohl in NRW als auch im Land Berlin neue Ausschüsse das Behördenve­rsagen unter die Lupe nehmen. Die Grünen verlangen das auch vom Bundestag. Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) forderte Aufklärung von „allen Beteiligte­n im Land Berlin“. Auch Bundestags-Innenaussc­hussChef Ansgar Heveling (CDU) sprach von einem „ungeheuerl­ichen Vorfall“. Ein Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundes könne jedoch nur begrenzt Aufklärung leisten. SPD-Innenexper­te Burkhard Lischka verwies darauf, dass das Kontrollgr­emium bereits einen umfangreic­hen Bericht erstellt habe und es keinen zwingenden Anlass gebe, neben Untersuchu­ngen in den Ländern auch auf Bundeseben­e tätig zu werden. Leitartike­l Politik

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