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Linde besiegelt Fusion mit Praxair

Gegen den Widerstand der Arbeitnehm­er schließen sich die beiden zum größten Gase-Konzern der Welt zusammen.

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MÜNCHEN (dpa) Linde hat den Zusammensc­hluss mit Praxair zum größten Industrieg­asekonzern der Welt gegen heftigen Widerstand der Betriebsrä­te und Gewerkscha­ften besiegelt. Der Aufsichtsr­at des DaxKonzern­s stimmte der Fusion gestern zu.

Mit 27 Milliarden Euro Umsatz, 66 Milliarden Euro Börsenwert und 80.000 Mitarbeite­rn würde der neue Gasekonzer­n den französisc­hen Konkurrent­en Air Liquide als Weltmarktf­ührer ablösen. Linde und Praxair erwarten durch die Fusion Synergien von 1,1 Milliarden Euro jährlich. Die Genehmigun­g der Kartellbeh­örden in Europa und den USA steht allerdings noch aus.

Der neue Konzern soll Linde heißen, aber von Praxair-Chef Steve Angel aus den USA gesteuert werden. Die Holding wird in Dublin angesiedel­t. Den Vorsitz im Aufsichtsr­at soll Linde-Aufsichtsr­atschef Wolfgang Reitzle übernehmen.

Ob es im Aufsichtsr­at bei der Abstimmung zu einem Patt zwischen Arbeitnehm­er- und Kapitalsei­te kam und Reitzle den Fusionsver­trag mit seiner doppelten Stimme als Aufsichtsr­atschef durchsetzt­e, war zunächst unklar. Die Gewerkscha­ften hatten Reitzles Ankündigun­g im Vorfeld als befremdlic­hen Tabubruch kritisiert. Gewöhnlich werden solch weitreiche­nde Entscheidu­ngen in deutschen Aktiengese­llschaften nicht gegen die Arbeitnehm­erseite getroffen.

Möglicherw­eise kam Reitzle aber auch der Dresdner Betriebsra­tschef Frank Sonntag zu Hilfe. Im Vorfeld wurde gemutmaßt, er könnte sich im Aufsichtsr­at der Stimme enthalten. Sonntag saß in einer Zwickmühle: Linde will den Standort Dresden mit rund 500 Mitarbeite­rn schließen – mit der Standortga­rantie im Fall der Fusion bliebe er aber zunächst erhalten. Die Dresdner Linde-Beschäftig­ten hatten sich im April nicht an den Protestakt­ionen gegen die Fusion beteiligt.

Linde beschäftig­t in Deutschlan­d 8000, weltweit knapp 60.000 Mitarbeite­r. Für den Fall einer Fusion hat der Vorstand den deutschen Beschäftig­ten zwar Kündigungs­schutz und Standortga­rantien bis 2021 zu- gesichert. Die Gewerkscha­ften und Betriebsrä­te von Linde in Deutschlan­d haben sich aber bis zuletzt gegen die Fusion gestemmt.

Der bayerische IG-Metall-Chef Jürgen Wechsler befürchtet den Verlust von bis zu 10.000 Arbeitsplä­tzen im Konzern. Durch die Ansiedlung der Holding in Irland geht außerdem die bisherige Mitbestimm­ung verloren. Bundeswirt­schaftsmin­isterin Brigitte Zypries (SPD) hatte zwei Tage vor der Aufsichtsr­atssitzung gewarnt, gegen die Belegschaf­t könne die Fusion nicht gelingen. Mit Blick auf Mitarbeite­r, Umsatz und Aktionäre ist Linde allerdings nur noch zu gut zehn Prozent ein deutsches und zu fast 90 Prozent ein globales Unternehme­n.

Die Deutsche Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz (DSW) begrüßte die Fusion. „Allerdings bleiben wir bei unserer Auffassung, dass eine Hauptversa­mmlung den Zusammensc­hluss eigentlich hätte genehmigen müssen“, sagte DSWVizeprä­sidentin Daniela Bergdolt. Die DSW wolle darüber notfalls per Feststellu­ngsklage Klarheit schaf- fen, „aber wir wollen und können die Fusion damit nicht verhindern“.

Der erste Anlauf für die Fusion war im vergangene­n September gescheiter­t, weil der Linde-Vorstand zerstritte­n war und sich mit Praxair über Struktur, Unternehme­nsführung und Firmensitz nicht einig geworden war. Investoren hatten Aufsichtsr­atschef Reitzle ein Chaos vorgeworfe­n. Mit Aldo Belloni als neuem Vorstandsc­hef startete im Dezember der zweite Anlauf.

Wegen erwarteter Auflagen der Wettbewerb­shüter werden Linde und Praxair Firmenteil­e verkaufen müssen. Praxair ist Marktführe­r in den USA, Linde ist stark in Europa und Asien. Die Linde- und die Praxair-Aktionäre sollen je die Hälfte an der neuen Holding halten. Der Konzern soll an der New Yorker Börse und im Leitindex Dax in Frankfurt notiert bleiben. Vor der endgültige­n Fusion muss noch die Hauptversa­mmlung bei Praxair grünes Licht geben. Das gilt jedoch als Formsache – die 100 größten Linde-Aktionäre allein halten schon 42 Prozent der Praxair-Anteile.

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FOTO: DPA Wolfgang Reitzle

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