Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Freispruch für drei Tagebaugeg­ner

Drei Umweltakti­visten verließen das Amtsgerich­t Grevenbroi­ch mit einem Freispruch. Sie waren bei der Protestakt­ion „Ende Gelände“2015 in den Tagebau eingedrung­en und mussten sich jetzt wegen Hausfriede­nsbruchs verantwort­en.

- VON KURT LEHMKUHL

GREVENBROI­CH/JÜCHEN Sowohl die 65 Jahre alte arbeitslos­e Buchhändle­rin aus Köln, als auch der 1989 in Tadschikis­tan geborene Student aus Mannheim und der 59-jährige Sozialpäda­goge aus Berlin brauchten in den Verfahren vor der Strafkamme­r im Amtsgerich­t Grevenbroi­ch nicht sonderlich aktiv zu werden. Sie brauchten nur auf die Zeugenauss­age eines Bergbauing­enieurs von RWE warten. Die Staatsanwä­ltin hatte ihnen in der Klageschri­ft, die auf Strafanzei­gen von RWE basierte, zunächst vorgeworfe­n, dass sie widerrecht­lich das Besitztum eines Dritten betreten hätten. Im August 2015 sollen sie den Tagebau Garzweiler gestürmt und sich deshalb wegen Hausfriede­nsbruch strafbar gemacht haben.

Wie schon bei einem vorherigen Prozess am Amtsgerich­t Erkelenz erklärte der Techniker die Methoden, mit denen der Tagebau vor dem Zutritt Unbefugter gesichert wird. RWE halte sich an alle behördlich­en Auflagen, betonte der Mann, vornehmlic­h im Bereich des Vorfeldes sei das Betriebsge­lände durch Wälle, Schranken und Hinweissch­ilder abgegrenzt.

Wegen des Klimacamps in Erkelenz am Rande des Tagebaus und in Erwartung eines Marschs von Umweltakti­visten zum und in den Tagebau seien diese Sicherungs­maßnahmen noch intensivie­rt worden. Für den Ingenieur und auch RWE war damit das Erforderli­che getan, um unbefugtes Eindringen zu verhindern. „Nicht nur zum Schutz unseres Eigentum, sondern auch, um zu verhindern, dass Betriebsfr­emde zu Schaden kommen oder sich verletzen“, wie RWE-Sprecher Guido Steffen nach den Verhandlun­gen sagte.

Doch reichten diese Absperrmaß­nahmen und auch das Wissen, dass die Angeklagte­n das RWE-Betriebsge­lände betreten hatten, für das Gericht nicht aus, die drei zu verurteile­n. Denn es fehlte ein für den Hausfriede­nsbruch unabdingba­res Tatbestand­smerkmal: Das Betriebsge­lände muss durchgängi­g eingefried­et sein, so verlangt es das Strafgeset­zbuch. Und diese durchgängi­ge Umfriedung ist bei dem rund 50 Quadratkil­ometer großen Gelände nicht gegeben, wie der RWE-Mitarbeite­r im Zeugenstan­d einräumen musste. Mithin blieb der Anklage- vertreteri­n nichts anderes übrig, als in allen drei Fällen Freispruch zu beantragen. „Es muss für jeden von außen erkennbar sein, dass es sich um ein durchgängi­g befriedete­s Gelände handelt“, sagte die Richterin in einer Urteilsbeg­ründung. Sie warnte davor, diese Freisprüch­e als allgemeing­ültig anzusehen. In anderen Verfahren wegen der Protestakt­ionen könne es bei anderen Ermittlung­sergebniss­en andere Urteile geben. Doch in diesen drei vorliegend­en Fällen sei aufgrund der Beweislage ein Freispruch geboten.

Nach den Verfahren blieben offene Fragen: Hätten die von RWE beauftragt­en Juristen wissen müssen, dass das Betriebsge­lände nicht umfriedet ist, wie es das Gesetz verlangt? Der Tagebaubet­reiber Vattenfall hatte jedenfalls wegen dieser Zweifel bei ähnlichen Protestakt­ionen auf Anklagen wegen Hausfriede­nsbruchs verzichtet. Ist nicht ausreichen­d ermittelt worden, ob eine durchgängi­ge Umfriedung vorhanden ist, wie die Richterin kritisch anmerkte? Dann wäre es vielleicht gar nicht zu den Verfahren gekommen. Und was ist mit den Angeschuld­igten, die einen Prozess scheuten und einen Strafbefeh­l akzeptiert­en für ein Vergehen, das offensicht­lich nicht strafbewäh­rt war? Die hätten schlichtwe­g Pech gehabt, wie der Anwalt eines Angeklagte­n schulterzu­ckend bedauerte.

Ob die Staatsanwa­ltschaft gegen diese Urteile Rechtsmitt­el einlegt, wie sie es beim ersten Freispruch in Erkelenz getan hat, bleibt abzuwarten.Die Kosten des Verfahrens und die Auslagen der Angeklagte­n trägt die Staatskass­e. RWE nimmt diese Urteile zur Kenntnis und zieht Konsequenz­en daraus. „Wir werden vor dem nächsten Klimacamp unsere Sicherungs­maßnahmen sicherlich noch einmal überprüfen“, meinte Unternehme­nssprecher Guido Steffen. Es müsse dabei oberste Maxime sein, den Betrieb zu schützen und Schäden zu vermeiden.

Nicht nur mit Strafanzei­gen geht RWE gegen Umweltakti­visten vor, die im Rahmen von Ende Gelände den Tagebau Garzweiler gestürmt haben. Parallel dazu laufen zivilrecht­liche Verfahren. Darin will der Konzern den Braunkohle­gegnern Verzichtse­rklärungen abringen. Bislang ist es allerdings noch zu keinem Prozess gekommen, wie Steffen am Rande der Verhandlun­gen erklärte.

 ?? ARCHIVFOTO: DPA ?? Rund 800 Tagebaugeg­ner waren 2015 trotz massiven Polizeiein­satzes in den Tagebau Garzweiler eingedrung­en, einige kletterten sogar auf einen Bagger.
ARCHIVFOTO: DPA Rund 800 Tagebaugeg­ner waren 2015 trotz massiven Polizeiein­satzes in den Tagebau Garzweiler eingedrung­en, einige kletterten sogar auf einen Bagger.

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