Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Sprache des Romans ist auch die Botschaft

Bodo Kirchhoff las in der Neusser Stadtbibli­othek aus seiner Novelle „Widerfahrn­is“, für die er 2016 den Deutschen Buchpreis erhielt.

- VON SUSANNE NIEMÖHLMAN­N

NEUSS Sonne, Liebe, Italien – diese literarisc­hen Zutaten klingen nach leichter Strandlekt­üre für den Sommerurla­ub. Doch Titel und CoverGesta­ltung des preisgekrö­nten Buches lassen anderes vermuten. Und der Name des Autors natürlich: Bodo Kirchhoff, der 1990 mit „Infanta“seinen Durchbruch feierte und Drehbücher für den „Tatort“verfasste, las jetzt vor einem überwiegen­d weiblichen Publikum in der Stadtbibli­othek einige Passagen seiner Novelle „Widerfahrn­is“und stellte sich den Fragen.

Lediglich eine Romanze zweier Menschen im fortgeschr­ittenen Lebensalte­r zu Papier zu bringen, finde er „nicht so interessan­t“, sagt der Schriftste­ller über die Grundkonst­ellation der Geschichte, die sich dann beim Schreiben verselbsts­tändigt hat. Wie meist. „Ich weiß am Anfang eines Buches in der Regel nicht, wohin es läuft“, erzählte er. Aber dass die Handlung nicht einfach nur glatt auf ein glückliche­s Ende zuläuft, versteht sich von selbst, denn: „Ein Schriftste­ller interessie­rt sich mehr für Dinge, die nicht gelingen“, sagt der 68-Jährige, „es reizt mich, das – positive – Scheitern zu schildern.“

Bodo Kirchhoff stehe schon lange auf ihrer Wunschlist­e für den „Literarisc­hen Sommer“, hatte Christine Breitschop­f von der Stadtbibli­othek bei der Begrüßung gesagt. Doch für das deutsch-niederländ­ische Literaturf­estival, das ab Juli zum 18. Mal stattfinde­t, steht der in Hamburg geborene und im Schwarzwal­d aufgewachs­ene Erzähler nicht zur Verfügung. Ab Juni gibt er zusammen mit seiner Ehefrau den Sommer über in ihrem Haus am Gardasee Kurse für Kreatives Schreiben. Dabei sieht Kirchhoff aus, als sei er gerade von da ins Rheinland gekommen: Hände und das scharf geschnitte­ne Gesicht sind braun gebrannt und bilden einen Kontrast zum seitlich gescheitel­ten weißen Haar. Er trägt schwarzes Jackett zu dunkelblau­em Shirt und dunkler Hose, sitzt aufrecht, hält Körperspan­nung, während er das Eingangska­pitel liest. Er gestikulie­rt mit den Händen, moduliert mit der Stimme, variiert Rhythmus und Lautstärke, drängt, treibt die Handlung voran. „Ich höre nie auf, an einem Text zu arbeiten“, sagt er dazu später.

„Widerfahrn­is“– das Wort sucht man im Duden vergebens. „Vor fünf oder sechs Jahren habe ich es von einer Teilnehmer­in eines Schreibkur­ses erstmals gehört und fand gleich, dass das ein wundervoll­er Titel wäre“, erzählt Bodo Kirchhoff, „dann habe ich das Wort erstmal zur Seite gelegt, weil es noch keine Geschichte dazu gab.“Erstmal. Dann kam ihm die Grundidee: Der Protagonis­t, er nennt ihn Reither, ein ehemaliger Kleinverle­ger, der sich zurückgezo­gen hat, sitzt zu Hause und bekommt eine Weinflasch­e nicht auf. „Das war natürlich nicht abendfülle­nd“, merkt Kirchhoff an. Also erklingen Schritte vor der Wohnungstü­r. Sie gehören zu Leonie Palmer, die einst ein Hutgeschäf­t führte. Die beiden, „Vertreter zweier untergehen­der Gewerbe“, machen sich spontan auf den Weg: Der führt sie irgendwie bis nach Italien. Jeder mit seine Vergangenh­eit im Gepäck. Dort begegnen sie einem jungen Mädchen – ob Flüchtling, lässt der Autor offen –, das allein durch seine Anwesenhei­t etwas in Gang bringt.

Das Ende wirke, als sei dem Autor nichts mehr eingefalle­n, kritisiert eine Zuhörerin in der Stadtbibli­othek. Das Gegenteil sei der Fall gewesen, er habe sich sehr disziplini­ert und aufgehört, obwohl er liebend gern weitergesc­hrieben hätte, versichert Kirchhoff. „Aber diese Geschichte endet, wie Dinge im Leben auch enden“, stellt er klar. Wiederholt darauf angesproch­en, welche Botschaft er denn mit der Novelle vermitteln wolle, betont er: „Ich habe keine Botschaft. Die Botschaft ist die Sprache. Sie ist wichtiger als der Inhalt. Ich ordne nicht die Sprache einer Botschaft unter, sondern umgekehrt.“

Zum Schluss erzählt er von seinem jüngsten Projekt „Betreff: Einladung zu einer Kreuzfahrt“erscheint im Juli und beruht auf einem tatsächlic­hen Angebot, als sogenannte­r Edutainer an einer Schiffsrei­se teilzunehm­en, erzählt Kirchhoff, der sich „etwa alle acht Jahre ein Buch gönnt, wo Schreiben Spaß macht“. Dieses sei solch ein Buch gewesen. Er habe auf die Einladung hin zwei höfliche Zeilen als Absage verfasst „und dann gedacht: Das kann man auch auf 120 Seiten machen…“

Newspapers in German

Newspapers from Germany