Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Kunst macht Politik
Man kann sich heute nur schwer vorstellen, wie die erste Documenta, 1955 von Arnold Bode in Kassel veranstaltet, bei den Besuchern angekommen sein muss. Was hätte die dort ausgestellte Kunst bei jenen Zeitgenossen ausgelöst, die 18 Jahre zuvor ebenfalls die von den Nationalsozialisten veranstaltete Propagandaschau „Entartete Kunst“besuchten? In beiden Fällen, in Kassel wie in München, wären sie auf Wilhelm Lehmbrucks Skulptur „Kniende“gestoßen. Mit zwei Bewertungen, die sich krasser nicht unterscheiden könnten. Erst stand sie am Pranger, dann auf dem Podest.
1937 wurde das noch junge Meisterwerk, das von 1911 datiert, von den Nazis als ein Beleg für die angebliche Minderwertigkeit moderner Kunst herangezogen. Auf der Documenta 1 stand es hingegen da als Beweis für den Sinneswandel einer ganzen Gesellschaft. Nun bewunderte man es. Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die kulturelle Wiedergutmachung im Sinn und wollte eine neue Standortbestimmung vornehmen. Der erste Ausstellungsmacher der Neuzeit trat ein für die Akzeptanz der Moderne. In der Übersichtsausstellung zur europäischen Kunst des 20. Jahrhunderts wurden die gefeiert, die man einst entwertet hatte. Außerdem, so stellte sich Bode vor, sollte die Documenta eine Basis für die Zukunft schaffen. Das ist ihm gelungen.
Die Documenta ist aus einem politischen Gedanken heraus entstanden, ihr Ziel war die Wiedergutmachung einerseits und die Proklamation von der Freiheit der Kunst andererseits. Ob Bode den Namen erfunden hat, ist unklar. Sicher aber steckt das lateinische Wort docere (lehren) darin. Bis heute sind in den 13 Neuauflagen der politische Geist und die gesellschaftliche Bezugsgröße nie ganz aus der Weltkunstausstellung verschwunden. Aus allen Ausstellungen konnte man auch Lehren ziehen. Weil jeder Künstler, der nicht völlig im Kommerz aufgegangen ist, sich als Vorkämpfer einer besseren Menschheit versteht.
Kunst macht Politik, seit es sie gibt, und Politik macht Kunst. Das beginnt in den frühen Hochkulturen mit den Macht demonstrierenden monumentalen Bauten und Skulpturen. Seit jeher versucht die Politik, sich die Kunst gefügig zu machen, inhaltlich wie ästhetisch. Das reicht vom Bildprogramm der römischen Cäsaren bis zu den Kanzlerporträts der Bundesrepublik. Wo Auftragskunst war, entstand auch Widerstand. Karikaturen gibt es seit der Antike, wie gefährlich sie sind, zeigte der politische Eklat um die Mohammed-Karikaturen, die 2005 in einer dänischen Zeitung erschienen.
Die Kunst wird im 20. Jahrhundert zunehmend autonom. Nicht erst seit Ende des Zweiten Weltkriegs beteiligt sie sich am gesellschaftlichen Diskurs. Bilder sind Kommentare wie Picassos „Guernica“von 1937, das als Fanal gegen den spanischen Bürgerkrieg zu lesen ist. Der chinesische Künstler Ai Weiwei stellte 2016 das erschütternde Foto von einem ertrunkenen Flüchtlingsjungen nach und multiplizierte damit weltweit im Netz seine Kritik an restriktiver Einwanderungspolitik. In Deutschland gilt Joseph Beuys als der Künstler, der mit fast allem, was er tat, eine politische Haltung ausdrückte. Der Niederrheiner, der behauptete, jeder Mensch sei ein Künstler, lieferte bis heute den politischsten Beitrag in der Geschichte der Documenta.
1982 galt die d 7 als gesellschaftsfern. Unter der Leitung von Manfred Schneckenburg war Politik weitgehend ausgeklammert. Die Malerei feierte sich. Die Unruhen der 68er Generation ebbten ab. Nur einer behielt seinen Unruhegeist und agitierte. Beuys wandte sich mit seiner Arbeit „7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“gegen die Verstädterung. Er selbst bezeichnete diese Aktion als „Soziale Plastik“. Solch einen massiven Eingriff in
Joseph Beuys lieferte bis heute den politischsten Beitrag in der Geschichte der Documenta