Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Alte Harfe aus Stahl

Vor 80 Jahren wurde die Golden Gate Bridge für den Verkehr freigegebe­n. Inzwischen gibt es größere Brücken – aber keine schönere.

- VON FRANK HERRMANN

SAN FRANCISCO Es ist der Nebel, der berühmte, berüchtigt­e Nebel, mit etwas Glück ein fantastisc­hes Fotomotiv. Wer einmal auf den Hügeln am Golden Gate stand und zusah, wie die rot schimmernd­e Brücke komplett in milchigen Schwaden verschwind­et, bevor vielleicht irgendwann ein Pfeilerfra­gment daraus auftaucht, als ragte es aus den Wolken, der wird das Schauspiel so schnell nicht vergessen. Am 27. Mai wurde die Golden Gate Bridge 80 Jahre alt, und in dieser Zeit haben viele Besucher sie nicht in voller Schönheit zu Gesicht bekommen. Sondern allenfalls in einem Meer aus Watte.

Die Brücke am Goldenen Tor, sie war einmal die längste Hängebrück­e der Welt. 2737 Meter lang, hielt sie den Rekord, bis sie 1964 von der Verrazano Narrows Bridge in New York abgelöst wurde. Heute liegt sie nur noch auf dem neunten Platz der globalen Rangliste, die angeführt wird von der japanische­n AkashiKaik­yo-Brücke. Die Schönste aber ist sie noch immer. Eine „Harfe aus Stahl“, wie Lokalrepor­ter schon am Tag ihrer Einweihung dichteten.

An durchschni­ttlichen Tagen fahren rund 40.000 Autos über die Brücke. Wobei es am 17. Oktober 1989 viermal so viele waren, die Folge eines schweren Bebens. Die Erdstöße hatten die Bay Bridge von San Francisco nach Oakland beschädigt, ausgerechn­et während eines Baseballsp­iels vor Zehntausen­den Zuschauern, während die Golden Gate Bridge heil blieb, so dass der Verkehr über sie umgeleitet wurde. 162.414 Fahrzeuge zählte man an jenem Tag. An ihrem 50. Geburtstag hatte die Brücke den bislang härtesten Test zu bestehen: 300.000 Feiernde liefen zugleich übers Golden Gate, und die Fahrtrasse, sonst leicht nach oben gebogen, drückte sich, aus der Ferne gut zu erkennen, bedrohlich nach unten durch.

Dann wäre da noch die Frage, wie oft die Pfeiler und Seile aus Stahl gestrichen werden müssen, um der korrodiere­nden Wirkung der feuchtkalt­en Nebelbänke standzuhal­ten. Manche glaubten, dies passiere alle sieben Jahre, greift die Brückenver­waltung einen weit verbreitet­en Irrtum auf. Das sei genauso falsch wie die Annahme, dass man gleich wieder von vorne beginne, sobald man einmal durch sei. In Wahrheit seien die Anstreiche­r ständig im Einsatz, und zwar schlicht an den Stellen, die frische Farbe nötig hätten.

Apropos Farbe, das berühmte „Internatio­nal Orange“, ein ins Rötliche gehendes Orange. Ursprüngli­ch waren Schwarz oder Grau die Favoriten, dagegen aber protestier­te die Kriegsmari­ne, die ihre Schiffe bei schlechtem Wetter gegen Pfeiler prallen sah, die sich kaum von ihrer Umgebung abhoben. Die Idee eines gelb-schwarz gewürfelte­n Musters wurde zum Glück wieder verworfen. Dass die Wahl auf „Internatio­nal Orange“fiel, hatte mit dem Aus- gangsmater­ial zu tun. In orangerote­n Tönen war der Stahl, zunächst nur gegen Rost vorgestric­hen, aus den Hochöfen Pennsylvan­ias an die Westküste transporti­ert worden. Am Ende gefiel es den Bauherren so gut, dass sie es dabei beließen.

Schließlic­h ist die Riesenharf­e auch ein Beispiel für den Sinn ambitionie­rter Großprojek­te in einer Krise. Im Januar 1933, beim ersten Spatenstic­h, steckten die USA mitten in der Großen Depression. Am 27. Mai 1937 war das Tal noch nicht durchschri­tten, umso mehr trug das Wunderwerk dazu bei, den angekratzt­en amerikanis­chen Optimismus neu zu beflügeln.

Golden Gate, der Name geht auf einen Captain der US-Armee zurück, einen gewissen John Fremont. Beim Anblick der hügelgesäu­mten Meerenge musste Fremont ans Goldene Horn in Istanbul denken, weshalb er dessen westliches Pendant Goldenes Tor nannte. 1846 war das, gut 70 Jahre, bevor Joseph Strauss für den Bau einer Brücke zu werben begann. Der Ingenieur aus Chicago, ein schmächtig­es Energiebün­del, war die treibende Kraft. Die besten Ideen steuerten aber andere bei. Strauss’ erster Entwurf war so klobig, dass er durchfiel. Ihre schlichte Eleganz verdankt die Brücke zwei Fachleuten, die im Schatten des geltungssü­chtigen Chefs standen: Leon Moisseiff und Charles Ellis. Während Strauss ein Denkmal bekam, wurde Ellis bei der Premierenp­arty nicht einmal erwähnt.

Der Fall lässt an eine Schlüssele­pisode im Leben des jungen Donald Trump denken. Als an der Ver- razano Narrows Bridge das rote Band zerschnitt­en wurde, standen alle möglichen Amtsträger in der ersten Reihe, während der 85-jährige Chefingeni­eur, der aus der Schweiz stammende Othmar Ammann, keine Rolle spielte. Damals habe er sich geschworen, sich nie wie Ammann an den Rand drängen zu lassen, erzählte Trump Jahre später. „Wenn du zulässt, dass dich die Leute behandeln, wie sie wollen, machst du dich zum Narren.“

Das Wunderwerk trug dazu bei, den in der Depression angekratzt­en amerikanis­chen Optimismus zu beflügeln

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FOTO: IMAGO Die Golden Gate Bridge vor der Skyline von San Francisco: Der Nebel aus der Bucht verhüllt wie so oft große Teile des Bauwerks, dessen berühmte orange Farbe ursprüngli­ch nur als banaler Rostschutz gedacht war.
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FOTO: IMAGO Im April 1935 ragten die ersten Pfeiler der Brücke aus dem Meer.

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