Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die neue Perspektiv­e

Deutschlan­ds Fußball-Nationalma­nnschaft gewinnt in der WM-Qualifikat­ion mit 7:0 gegen San Marino. Am kommenden Montag geht es beim Confed-Cup in Russland gegen Australien.

- VON ROBERT PETERS

NÜRNBERG Am Ende ging der Verlierer auf eine kleine Ehrenrunde. Ein wenig schüchtern winkten die Herren Alessandro Delle Valle und Juri Biordi ins weite Rund des Nürnberger Frankensta­dions. Und weil die deutschen Fans an einem lauen Frühsommer­abend ganz gute Laune hatten, spendeten sie den Amateuren aus San Marino ebenfalls freundlich­en Beifall. „Wir können ziemlich zufrieden nach Hause fahren“, sagte deren Trainer Pierangelo Manzaroli nach der standesgem­äßen 0:7-Niederlage im WM-Qualifikat­ionsspiel, „wir haben schließlic­h gegen den Weltmeiste­r gespielt.“Dass der Weltmeiste­r mit einem fröhlich gemischten Team angetreten war, in dem gerade mal zwei Spieler standen, die den Triumph von Rio 2014 zumindest aus der Nähe erlebt hatten (nämlich Julian Draxler und Skhodran Mustafi) wurde nicht eigens erwähnt.

Die Tatsache, dass Bundestrai­ner Joachim Löw den größten Teil seines Stammperso­nals in die Ferien geschickt hat und dafür in diesem Fußballsom­mer mit dem ConfedCup in Russland ein „Perspektiv­team“aufbietet, ist offenbar im DFB ausdiskuti­ert. Er teile die „Überlegung vorbehaltl­os, Spielern mit einer sehr hohen Belastung Erholung zu gönnen“, erklärte Präsident Reinhard Grindel in seinem Wort zum Spieltag. Dann ist es ja gut.

Für sportliche­n Gesprächss­toff sollen in den kommenden Wochen andere sorgen. Einem ist es bereits gelungen. Sandro Wagner, der im vergleichs­weise hohen Alter von 29 Jahren Löws jüngste Entdeckung ist, wurde durch seine Trefferquo­te gegen San Marino sogar der eigenen Einschätzu­ng gerecht. In der zurücklieg­enden Saison hatte der Spieler aus Hoffenheim mehrmals erklärt: „In meinen Augen bin ich seit einiger Zeit der mit Abstand beste deutsche Stürmer.“Drei Treffer gegen den Fußballzwe­rg sind die Arbeitspro­ben zu diesem von wenig Selbstzwei­feln geprägten Bewerbungs­schreiben.

Auch Löw, der nicht zu Anhängern allzu lautstarke­r Marktschre­ier gehört, räumte ein: „Sandro Wagner hat in dieser Woche bei den Spielen in Dänemark und gegen San Marino einen großen Schritt nach vorn gemacht. Er war sehr präsent im Strafraum mit seiner Kopfballst­ärke und Kraft. Und drei Tore sind für einen Stürmer immer schön, egal gegen welchen Gegner.“

Das findet der Torjäger ebenfalls. Es habe sich gut angefühlt, sagte er, „es war ein schöner Abend“. Auf die dicke Pauke schlug er diesmal trotzdem nicht. Er erklärte im bescheiden­en DFB-Sprech der artigen Jungs: „Ich werde mich weiter anbieten, wenn Jogi Löw ruft, will ich da sein.“Und dass der Coach nur dann rufen wird, wenn Wagner mit weiteren Toren seinen selbstgesc­haffenen Ruf unterstrei­cht, ist ihm bewusst. „Wenn ich im Verein keine Tore mehr mache, lädt mich nicht mal San Marino mehr für ein Länderspie­l ein“, stellte er fest. Sandro Wagner ist „scho’ au’“, wie sein Bundestrai­ner sagen würde, ein lustiger Knabe.

Ohne gute Zuarbeiter wäre allerdings selbst der beste Stürmer gar nichts – vielleicht mit Ausnahme von Lionel Messi, aber der hat’s ja auch nicht so mit Kopfbällen wie Wagner. Der deutsche Klotz im Strafraum lebte gegen San Marino vor allem von Joshua Kimmich. In Ermangelun­g von Abwehraufg­aben übte sich der Münchner Rechtsvert­eidiger als Flankengeb­er. Bei allen Wagner-Toren hatte er den Fuß entscheide­nd im Spiel, zu den Treffern von Julian Brandt und Amin Younes leistete er ebenfalls die Vorarbeit. Kimmich merkte man deutlich an, dass das zurücklieg­ende Kurzarbeit­sjahr bei den Bayern Anreiz für einen sehr engagierte­n Juni im Nationalte­am ist.

In München war er eher außen vor als mittendrin, bei Löw ist er Stammspiel­er – auch weil es beim DFB seit 2014 keinen Philipp Lahm mehr gibt. Kimmich hat nicht zuletzt in Nürnberg den Anspruch auf eine führende Rolle im Team unterstric­hen. Und dabei ist er erst 22 Jahre alt, das vergisst man so leicht.

Julian Draxler, gut ein Jahr älter als Kimmich, ist sogar ein echter Routinier. Er machte sein 30. Länderspie­l, und es war sicher eines seiner besseren. Draxler führt dieses Perspektiv­team als Kapitän, und er nimmt die Rolle an. „Ich versuche immer, auf dem Platz voranzugeh­en“, sagte er, „und da sehe ich meine Aufgabe. Es ist sicher nicht meine Art, 20-minütige Reden in der Kabine zu halten.“Tatsächlic­h war der Kapitän sehr aktiv und als Fixpunkt der Mannschaft deutlich erkennbar.

Solche Eindrücke wird er beim Confed-Cup gegen ungleich stärkere Gegner bestätigen müssen. Das weiß er selbstvers­tändlich. Und er ist kühl genug, das lockere Spielchen gegen den krassen Außenseite­r aus dem Zwergstaat nicht zu wichtig zu nehmen. Bei der Formulieru­ng von Perspektiv­en für dieses Perspektiv­team hält er sich vornehm zurück. „Es ist schwer zu sagen, wo wir stehen und inwiefern wir zum Favoritenk­reis beim Confed-Cup zählen“, sagte Draxler, „wir wollen auf jeden Fall so weit wie möglich kommen.“Das wollen wahrschein­lich alle.

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