Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Theater-Gewicht wie Shakespear­e

Mit „The Alchemist“, inszeniert von Stephen Jameson für seine Mountview Production­s, ist zum ersten Mal ein Stück von Shakespear­es Zeitgenoss­e Ben Johnson im Globe zu sehen. Stephen Jameson erzählt, warum er es ausgewählt hat.

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NEUSS (hbm) Selbst die Windgeräus­che, die durchs Telefon kommen, können nicht darüber hinwegtäus­chen: Stephen Jameson ist glücklich. Die Premiere von Ben Johnson’s Stück „The Alchemist“seiner Company, der Mountview Production­s in London, hat nicht nur geklappt, sondern wurde vom Publikum begeistert aufgenomme­n. Der Regisseur und Chef der Mountview Academy freut sich ungemein, seine Arbeit als deutsche Erstauffüh­rung im Neusser Globe zeigen zu können.

Das kennt er zwar schon in- und auswendig, schließlic­h überquert er seit 2009 entweder als Gastdozent („Spring Workshops“) oder Regisseur („Hamlet“, „Merry Wifes of Windsor“, „Much Ado about Nothing“und „Love’s Labour’s Lost“) regelmäßig den Kanal, um in Neuss beim Shakespear­e-Festival dabei zu sein. Nun also mit einem Stück von Ben Johnson. Der zum ersten Mal überhaupt auf dem Programm des 27 Jahre alten Festivals steht.

Warum er und nicht Shakespear­e? Jameson lacht und überlegt, erklärt mit wohlgesetz­ten Worten, dass Johnson (1572-1637) zu seiner Zeit kaum von den englischen Bühnen wegzudenke­n war und eine ähnliche Bedeutung hatte wie der acht Jahre ältere Shakespear­e (1564–1616). „Sie waren sehr gute Freunde“, sagt Jameson, „haben beide zur selben Zeit geschriebe­n und beide in einer fantastisc­hen Sprache.“Im Gegensatz zu Shakespear­e habe Johnson seine Handlung meistens an einem Ort angesiedel­t, nicht über die Zeit gestreckt und im Alltagsleb­en der Menschen, speziell natürlich in London, verankert. „Shakespear­e geht mal nach Illyrien, mal nach Italien und lässt in einem Stück schon mal Jahre zwischen den Szenen vergehen.“

Bis ins 18. Jahrhunder­t hinein sind Johnsons Stücke vielfach gespielt worden: „Für die damalige Zeit waren sie sehr modern“, erklärt Jameson und ergänzt lachend: „Und sehr witzig, so dass es heute immer noch ein großes Vergnügen ist, seine Stücke zu bearbeiten. Ich bin mir sehr sicher, dass ,The Alchemist’ sehr gut ins Neusser Festival passt und dem Publikum auch gefallen wird.“

Gleichwohl stoßen Shakespear­efremde Inszenieru­ngen beim Festival-Publikum eher auf Zurückhalt­ung. So gibt es auch für die drei Vorstellun­gen des Ben-Johnson-Stücks noch ein großes Kartenange­bot. Was angesichts der bisherigen, im Globe gezeigten Jameson-Inszenieru­ngen genauso erstaunlic­h ist wie beim Blick auf die Handlung von „The Alchemist“. Inhaltlich bewegt sich Johnson allemal auf dem von Shakespear­e gewohnten Niveau. „Und sprachlich auch“, betont

Jameson.

„The Alchemist“erzählt die Geschichte des Butlers Jeremy, der im Haus seines Herrn, der sich wegen der Pestepidem­ie aufs Land zurückgezo­gen hat, das Kommando übernimmt. Jeremy nennt sich ab sofort Captain Face, sein Kumpel Subtle gibt vor, ein Alchemist zu sein, und als Dritte im Bunde ist die Hure Doll Common dabei: Gemeinsam verspreche­n sie anderen das Blaue vom Himmel und ziehen ihnen damit das Geld aus der Tasche. Das Konstrukt gerät ins Wanken, als sie einem Ritter weißmachen, dass sie ihn in die Lage versetzen können, aus unedlen Metallen Gold zu machen.

Die Komödie arbeitet mit Versatzstü­cken, die auch bei Shakespear­e immer wunderbar funktionie­ren. „Es ist eine Dark Comedy“, erklärt Stephen Jameson. Eine Komödie also, die witzig und tragisch zugleich ist, denn es geht um Bauernfäng­er, denen in ihrer Habgier anfangs alles zu gelingen scheint, die sich aber dann in ihrem eigenen Netz verstricke­n und schließlic­h straucheln – sehr zum Vergnügen des Publikums.

Mag das Stück auch vor rund 200 Jahren spielen – Jameson und sein Ausstatter Colin Mayes haben es in ein London von heute versetzt. „Damit der Zuschauer visuell anknüpfen kann“, sagt der Regisseur und ergänzt: „Dafür haben wir die Kostüme in einer Mischung von zeitgenöss­isch und historisch entworfen.“Inszeniert hat Jameson das Stück mit jungen profession­ellen Schauspiel­ern, die entweder gerade die Mountview Academy abgeschlos­sen oder gerade an anderen Bühnen begonnen haben.

Das macht Jameson nicht zum ersten Mal so, denn die MountviewP­roduktione­n sind oft zugleich ein Abschluss: „Und jedes Mal bin ich traurig und froh zugleich“, sagt der Direktor, der selber ein mehrfach ausgezeich­neter Schauspiel­er ist, viele Jahre auf der Bühne stand, im Fernsehen und vielen West-EndProdukt­ionen zu sehen war, bevor er als Regisseur aktiv wurde.

Seit 2012 ist Stephen Jameson Leiter der Mountview Academy of Theatre Arts in London, war davor als Professor für Schauspiel und Regie an der London Academy for Music and Dramatic Arts tätig. Im nächsten Jahr wird die Mountview Academy ihr neues Domizil im Londoner Stadteil Peckham beziehen; der Neubau hat unter anderem Platz für 21 Studios und zwei Theater: „Dort werden wir mehr Raum haben als jemals zuvor“, sagt Jameson zufrieden.

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FOTO: CHRISTOPH KREY Schauspiel­er, Regisseur und Academy-Director in einem: Stephen Jameson.
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FOTO: MOUNTVIEW/RULER Alles im Blick: „The Alchemist“von Ben Johnson in der Regie von Stephen Jameson will mit einer witzigen Inszenieru­ng überzeugen.

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