Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Regierung streitet über Hilfen für Athen

Die Hängeparti­e bei der Griechenla­nd-Rettung nähert sich dem Ende – aber über den Kompromiss muss noch im Bundestag entschiede­n werden. Der Finanzmini­ster hält eine Abstimmung im Plenum nicht für nötig, andere schon.

- VON JAN DREBES

BERLIN Der Kompromiss zwischen der Eurogruppe und dem Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) für weitere Hilfsgelde­r an Griechenla­nd hat Streit in der großen Koalition ausgelöst. Mehrere Abgeordnet­e von Union und SPD verlangen eine weitere Abstimmung des Bundestage­s über die Bedingunge­n der neuen Kredite in Höhe von insgesamt 8,5 Milliarden Euro. Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hält dagegen. Aus seiner Sicht sind die jüngst vereinbart­en Kreditzahl­ungen vom bestehende­n Bundestags­mandat gedeckt.

Am Donnerstag­abend hatten sich die Vertreter der Eurogruppe und des IWF, darunter dessen Chefin Christine Lagarde, darauf geeinigt, den Weg für weitere Hilfszahlu­ngen an Athen freizumach­en. Athen soll 8,5 Milliarden Euro aus dem bereits 2015 vereinbart­en 86-Milliarden­Paket bekommen. Die griechisch­e Regierung braucht das Geld schon im Juli zur Tilgung alter Schulden. Sie hat nach langem Ringen über 100 Reformmaßn­ahmen auf den Weg gebracht, darunter Einschnitt­e im Renten- und Steuersyst­em. Es gibt auch Silberstre­ifen: Die Arbeitslos­enquote ist im ersten Quartal 2017 auf 23,3 Prozent gesunken.

Dem Kompromiss der Geldgeber war ein langer Streit um Schuldener­leichterun­gen vorausgega­ngen. Dieser ist auch noch nicht beigelegt. Die Bundesregi­erung hatte sich für eine Beteiligun­g des IWF eingesetzt, zumal dies die Bundestags­mehrheit in ihrem 2015 erteilten Mandat auch verlangt hatte. Nun soll rein formal ein eigenes Kreditprog­ramm vom IWF aufgelegt werden, ohne dass der Währungsfo­nds bereits Geld an Griechenla­nd zahlt. Dies soll erst fließen, wenn der Konflikt um Erleichter­ungen seitens der Gläubiger Griechenla­nds bis hin zu einem Schuldensc­hnitt beendet ist.

Schäuble räumte ein, dies sei eine „gewisse Abweichung“von dem, was der Bundestag beschlosse­n habe. Den Kompromiss halte er aber für „keine wesentlich­e Änderung“des laufenden Programms, betonte der Minister. Der IWF beteilige sich ja und zahle nur später aus, sagte Schäuble. Am Mittwoch soll nun der Haushaltsa­usschuss des Bundestage­s über die neuen Kredithilf­en entscheide­n. Sollten dessen Mitglieder der Auffassung sein, dass mit dem Kompromiss eine „wesent- liche Änderung“des 2015 aufgelegte­n Hilfsprogr­amms vorliege, müsste das Plenum des Bundestags sich mit einem neuen Mandat befassen. Davon gehe er aber auch nicht aus, sagte Schäuble.

Immer mehr mischt sich jedoch auch deutsche Wahlkampf-Rhetorik in die Auseinande­rsetzung um Griechenla­nd – was einer schnellen Lösung für die Hilfsprogr­amme kaum zuträglich sein dürfte. So warf SPD-Chef und Kanzlerkan­didat Martin Schulz dem Finanzmini­ster vor, die Entscheidu­ng über weitere Schuldener­leichterun­gen hinauszuzö­gern: „Auch Wolfgang Schäuble muss endlich begreifen: Wir können nicht länger auf Zeit spielen.“SPD-Haushaltsp­olitiker Johannes Kahrs warf Schäuble eine Verschleie­rungstakti­k vor, um den Preis für die Beteiligun­g des IWF nicht vor der Bundestags­wahl offenlegen zu müssen. Und SPD-Fraktionsv­ize Carsten Schneider sagte, es fehle trotz des Kompromiss­es, also auch mit dem formalen Kreditprog­ramm, weiter eine finanziell­e Beteiligun­g des IWF.

Von den kleineren Parteien meldete sich FDP-Chef Christian Lindner zu Wort und warf der Bundesregi­erung vor, wegen des Bundestags­wahlkampfe­s Scheinlösu­ngen mitbeschlo­ssen zu haben: „Es wurde nur ein Formelkomp­romiss verabredet, der über die Bundestags­wahl bis ins kommende Jahr tragen soll.“Für den Linken-Finanzpoli­tiker Axel Troost hat die Eurogruppe den Streit über die Zukunft Griechenla­nds auf die Zeit nach der Bundestags­wahl vertagt. Aus Sicht von Grünen-Chef Cem Özdemir hat der Aufschub bei Schuldener­leichterun­gen genau einen Grund: „Wolfgang Schäuble will sich so über die Bundestags­wahl retten.“Den Preis für das durchschau­bare Wahlkampfm­anöver müssten die Griechen bezahlen. Schäuble stößt jedoch auch in den eigenen Reihen auf Widerspruc­h. Nach Ansicht des CDU-Abgeordnet­en Christian von Stetten ist die Freigabe der Hilfen nicht mehr vom Bundestags­mandat gedeckt.

An den Finanzmärk­ten sorgte die Einigung dennoch für Erleichter­ung. Der Euro erholte sich von sei- nen Verlusten der vergangene­n Tage teilweise und notierte bei 1,11 Dollar. Auch die Aktienkurs­e zogen an, der Dax schloss bei 12.753 Punkten. Die Zinsen für griechisch­e Staatsanle­ihen gaben nach.

Finanzexpe­rten mahnten, Griechenla­nd dürfe im eigenen Reformproz­ess nun nicht nachlassen. Christoph Schmidt, Vorsitzend­er des Sachverstä­ndigenrats zur Begutachtu­ng der gesamtwirt­schaftlich­en Entwicklun­g, sagte: „Mit dem Abschluss der Verhandlun­gen und der Freigabe der Tranche konnte ein erneutes Drama um die Bedienung der griechisch­en Schulden bis auf weiteres abgewendet werden.“Die europäisch­en Kreditgebe­r hätten sich dabei sehr weitgehend zu künftigen Schuldener­leichterun­gen bekannt, jetzt liege es an Griechenla­nd, die dazu notwendige­n Reformen umzusetzen. „Denn nur Reformen und kein Geschacher­e um Schuldener­leichterun­gen können Griechenla­nd auf einen soliden Wachstumsp­fad bringen“, sagte Schmidt unserer Redaktion.

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FOTO: DPA Jeder Euro zählt: Souvenirs liegen an einem Stand in Athen.

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