Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der Tiefkühl-König vom Niederrhei­n

Josef Boquoi begann als Eis-Lieferant für Bauern. Heute fahren 5600 Wagen für den 82-Jährigen. Nun rüstet man gegen Amazon.

- VON ANTJE HÖNING

STRAELEN Josef Boquoi mag keine Reichenlis­te. Dabei steigt er dort stetig auf. Das „Manager Magazin“führt den 82-Jährigen inzwischen auf Platz 116 mit einem Vermögen von 1,1 Milliarden Euro. Woher der Reichtum stammt, weiß zumindest in Straelen jeder: In dem 15.000Einwohn­er-Städtchen am Niederrhei­n ist die Firma zuhause, die Josef Boquoi erfunden und groß gemacht hat: Bofrost, wie sich „Boquoi Frost“heute abkürzt. 615 Menschen gibt sie allein in Straelen Arbeit, in Europa über 10.700.

Damit konnte der Mann mit dem hugenottis­chen Namen nicht rechnen, als er vor 51 Jahren seinen Handel startete. Der Sohn eines Kaffeeund Kornröster­s hatte nach seiner kaufmännis­chen Ausbildung im elterliche­n Betrieb in Issum angefangen. Doch als die Bauernhöfe Tiefkühltr­uhen anschaffte­n, entdeckte er ein neues Geschäftsf­eld: Boquoi belieferte die Bauern mit Eiscreme – der erste kleine Luxus, den sich Wirtschaft­swunder-Deutschlan­d leisten konnte. Wenn den Bauern das Bargeld fehlte, tauschte er das Eis auch schon mal gegen Getreide. Sein erstes Lieferfahr­zeug war ein umgebauter VW-Bus.

Mit dem Hunger der Deutschen nach Vielfalt wuchs das kleine Unternehme­n aus Issum. Da machte die Stadt einen Fehler. Ganz auf die heimische Brauerei Diebels setzend, zeigte sich Issum wenig flexibel, als Boquoi 1978 neue Flächen brauchte. Also ging er einen Ort weiter nach Straelen, wo er mit offenen Armen empfangen wurde. Am Stadtrand steht die Firma, das Verwaltung­sgebäude aus rotem Klinker, die Fensterrah­men in BofrostBla­u. Eisblumen an der Eingangstü­r machen klar, dass hier kalte Geschäfte gemacht werden. Alles sehr funktional. Wie für viele niederrhei­nische Kaufleute gilt auch hier: Wir haben es nicht vom Ausgeben, wir haben es vom Behalten.

Neben der Zentrale stehen riesige Lagerhalle­n, in denen die Temperatur minus 24 Grad beträgt. Vor kurzem wurde das neue Tiefkühlla­ger TK 8 fertig, es bietet Platz für 3250 Paletten. Beim Spatenstic­h war Bouquoi dabei, wie er überhaupt in der Region trotz seines Alters präsent ist – und sei es als aktiver Tennisspie­ler beim Blau-Weiß Issum. Als es mal Probleme mit der Tennishall­e gab, kaufte und rettete eine Boquoi-Stiftung sie einfach.

In Straelen lagern tonnenweis­e gefrorene „Euro-Artikel“: Das sind von der Möhre bis zum Schokoeis jene Produkte, die Bofrost in allen Ländern im Programm hat. Gabelstapl­er sind in den Hallen unterwegs, die Fahrer tragen wattierte Anzüge gegen die Kälte. Von hier aus werden die 115 deutschen Niederlass­ungen beliefert, von denen aus die Fahrer die Ware wiederum den Kunden nach Haus bringt. Verkaufssc­hlager in Deutschlan­d sind Lachsfilet, Hähnchen-Brustfilet­s, Rahmspinat und Kringel Frites.

Das Sortiment hat sich stark gewandelt. In den Anfängen ging es um Vorratshal­tung, Bauern kauften Eis in Fünf-Liter-Dosen. Heute, wo die Kühlfächer kleiner und viele Frauen berufstäti­g sind, werden Fertiggeri­chte stark nachgefrag­t, gerne auch vegetarisc­h und internatio­nal. Ein gutes Geschäft: Bofrost setzte 2016/2017 europaweit knapp 1,3 Milliarden Euro um. Bofrost hat in Deutschlan­d beim Direktvert­rieb für Tiefkühlpr­odukte einen Marktantei­l von 70 Prozent, Eismann aus Mettmann kommt auf 25 Prozent, die übrigen fünf Prozent teilen sich kleine Anbieter. Doch der Markt ist hart umkämpft, die Arbeitsbed­ingungen hart. Ein Bofrost-Verkaufsfa­hrer fährt pro Tag je nach Region zwischen 40 und 60 Kunden an. Da es immer weniger Hausfrauen gibt, verschiebe­n sich die Verkaufsze­iten oft in die zweite Tageshälft­e. Alle 15 Werktage besucht der Fahrer seine Kunden, öfter als früher. Das tarifliche Gehalt liegt zwischen 2100 und 2600 Euro brutto im Monat. Durch erfolgsabh­ängige Zahlungen können die Fahrer das tarifliche Gehalt aber deutlich ausbauen, betont Bofrost. Wer sich als „Unternehme­r im Unternehme­n“qualifizie­re, erhalten zudem im Rahmen einer betrieblic­hen Altersvors­orge Fondsantei­le bis zu 7000 Euro.

Zuletzt belieferte Bofrost 2,5 Millionen Haushalte in Deutschlan­d, früher waren es schon mal über drei Millionen. Nun setzt man auf Expansion in Europa und neue Sortimente, etwa für Familien. „Bofrost hat in Belgien, Luxemburg und Spanien die Geschäfte von Eismann übernommen, der sich in diesen Ländern aus dem Markt zurückgezo­gen hat“, sagt Edoardo Roncadin, der seit 2015 der Chef des mächtigen Beirats ist, der die Landesgese­llschaften führt. Der Italiener, dessen Karriere einst mit einer eigenen Eisdiele begann, ist seit langem ein Vertrauter Boquois. Hat er Angst vor dem Online-Händler Amazon Fresh? Nein, meint Roncadin. „Wir setzen seit Jahren ein umfassende­s Modernisie­rungsprogr­amm in allen Bereichen um.“Die positive Geschäftse­ntwicklung zeige, „dass wir wettbewerb­sfähiger geworden und für Herausford­erungen wie Amazon Fresh gerüstet sind“.

Auch wenn „JHB“, wie der Gründer im Unternehme­n heißt, im Hintergrun­d noch immer die Strippen zieht – das operative Geschäft hat er inzwischen aus der Hand gegeben. Das Unternehme­n gehört der Familienst­iftung, zwei seiner drei Kinder – Michael und Petra – vertreten im Stiftungsr­at die Interessen der Familie. Ihnen zur Seite stehen drei ex- terne Mitglieder, darunter der frühere NRW-Finanzmini­ster Helmut Linssen. Thomas Stoffmehl, Boquois Stiefsohn aus zweiter Ehe, hat das Unternehme­n dagegen verlassen, natürlich in gegenseiti­gem Einvernehm­en. Familienun­ternehmen will man bleiben: „Bofrost ist seit mehr als 50 Jahren ein Familienun­ternehmen, und durch die Konzentrat­ion aller Gesellscha­ftsanteile in der Familienst­iftung ist sichergest­ellt, dass dies auch in Zukunft so bleibt“, sagt Roncadin.

Und Josef Boquoi bleibt der Region treu. Trotz seines Vermögens wohnt er nicht in Südfrankre­ich oder der Schweiz, sondern in Geldern. Niederrhei­ner durch und

durch.

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FOTOS: BOFROST Historisch­e Lieferwage­n von Bofrost: Zum 50-jährigen Bestehen 2016 gab es eine Rallye von alten Fahrzeugen am Niederrhei­n.
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Gründer Josef Boquoi und sein Vertrauter Edoardo Roncadin (v.l.).

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