Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Schnell in die Weltspitze

Deutsche Radprofis gehören zu den Stars der Szene. Aber es sind alles Sprinter oder Zeitfahrer. Was fehlt, sind Rundfahrer. Wieso eigentlich?

- VON DANIEL BRICKWEDDE

DÜSSELDORF Emanuel Buchmann ist kein Mann der großen Worte. Streng genommen würde er am liebsten gar nichts in der Öffentlich­keit sagen. Medienauft­ritte sind nicht seine Sache. Doch in den Wochen vor der Tour de France hat der Profi aus der deutschen Equipe Bora-hansgrohe keine Wahl, schließlic­h ist er eine Ausnahme – und damit begehrt. Der 24-Jährige ist seit langer Zeit wieder ein zartes Pflänzchen der Hoffnung auf einen kommenden Berg- und Rundfahrer aus Deutschlan­d, also ein Mann für vordere Plätze in der Gesamtwert­ung einer Tour de France.

Wie selten dies ist, lässt sich daran erkennen, wie groß hierzuland­e stets die öffentlich­e Aufregung um jedes potenziell­e Talent ist. Für Jochen Hahn ist die Fragerei, ob dieser oder jener Sportler ein Rundfahrer wird, jedoch müßig: „Es werden zu schnell Erwartunge­n geschürt. Es ist eine absolute Ausnahme, wenn ein Profi unter 25 Jahre bei großen Rundfahrte­n vorne mitfährt. Die Top-Fahrer sind alle im gehobenen Alter. Solche Leistungen brauchen Zeit in der Entwicklun­g.“Für den ehemaligen Sportliche­n Leiter des Team Milram sind Rufe nach einem „Heilsbring­er wie Jan Ullrich“wenig hilfreich. „Den wird es nicht mehr geben“, glaubt er. Mittlerwei­le leitet er die sportliche­n Geschicke beim drittklass­igen deutschen Kontinenta­l-Team Heizomat und ist mittendrin im deutschen Nachwuchsb­ereich. Er kennt die Thematik der fehlenden Rundfahrer.

Denn Deutschlan­d ist im Radsport das gelobte Land der Sprinter und Zeitfahrer. Talente schaffen aus diesen Bereichen immer wieder den Sprung in den internatio­nalen Radsport. Im Profizirku­s gehören die Sprinter Marcel Kittel, John Degenkolb und André Greipel sowie Tony Martin als Zeitfahrer zur Weltspitze. 24 Etappensie­ge gelangen so seit 2012 bei der Tour de France – keine Nation war erfolgreic­her. Zum Vergleich: Die beste Platzierun­g eines deutschen Profis im Endklassem­ent war Platz 21 durch Buchmann 2016.

Die Gründe sind vielfältig. Wie Hahn sieht auch Sebastian Deckert in den Landesverb­änden einen höheren Stellenwer­t für den Bahnsport. Der Sprung zum Sprinter oder Zeitfahrer ist für ihn anschließe­nd nicht mehr weit. Deckert kam als Quereinste­iger aus der Leichtathl­etik in den U23-Radsport, schaffte den Schritt zu den Profis aber nicht. Heute ist er Trainer im Developmen­t-Team der deutschen WorldTour-Equipe Sunweb.

Ein anderer Faktor ist für Deckert Jochen Hahn die Perspektiv­e: „Die Förderung ist nach der U23 beendet. Es gibt anschließe­nd keinen Bundeskade­r mehr. Für den Verband müssen die Sportler bis dahin den Sprung ins Profi-Geschäft geschafft haben.“Gerade für ambitionie­rte Bergfahrer ein Problem. Ihre Entwicklun­g braucht Zeit – Sprinter und Zeitfahrer können früher auf sich aufmerksam machen. Deckert stellt daher die Existenzfr­age. Alleine von der Profi-Lizenz in einem Kontinenta­lTeam kann nach seiner Aussage in Deutschlan­d keiner leben. In Frankreich gibt es ein Mindestgeh­alt – und mehrere Nachwuchss­erien, mehr Rennen und ein stärkeres Fahrerfeld. Allerdings warten auch die Franzosen seit 1985 auf einen TourSieg. Für Hahn hinkt der Vergleich mit dem Nachbarlan­d ohnehin: „Deutschlan­d hat keine gute Radsport-Kultur. Sogar in Polen ist die Sportart wesentlich populärer.“

Die fehlende Akzeptanz trifft den gesamten Nachwuchsb­ereich. Die Entwicklun­g der Lizenzzahl­en ist rückläufig, und dem Nachwuchs sterben die Rennen weg. Einst gab es hierzuland­e fünf Landesrund­fahrten, die Friedensfa­hrt, eine Tour de Berlin und eine internatio­nal hoch angesehene U23-ThüringenR­undfahrt. Heute gibt es kein einziges deutsches Etappenren­nen mehr. Dabei bezweifelt Deckert nicht, dass es keine motivierte­n Rennverans­talter gibt – einzig ihr Wille wird durch fehlende Sponsoren und Bürokratie gestoppt. Somit finden auch keine Rennen im Schwarzwal­d, Allgäu oder den Alpen statt. Terrain, bei dem sich Bergfahrer profiliere­n könnten.

Für den Nachwuchs gibt es derzeit in Deutschlan­d die Bundesliga­Serie und wenige nationale UCIRennen wie Rund um Köln. Wer nicht zum Nationalka­der gehört, muss für weitere Einsätze auf Einladunge­n seines Kontinenta­l-Teams zu internatio­nalen Rennen hoffen. Und der Wettkampf um solche Plätze ist gerade für deutsche Mannschaft­en nicht leicht: Die internatio­nale Konkurrenz ist groß und teilweise stärker besetzt. Auch das Budget spielt eine Rolle – viele Reisen bedeuten hohe Ausgaben.

Im Developmen­t-Team um Deckert gibt es diese Probleme als „Farmteam“einer WorldTour-Equipe nicht. Irgendwann soll ein deutscher Profi bei den großen Rundfahrte­n um den Gesamtsieg mitfahren. Dafür wird den Talenten eine Umgebung wie in einem Profi-Team geboten. Fünf deutsche Fahrer zählen zum Aufgebot. Allerdings betont Spekenbrin­k auch hier den Faktor Geduld.

Solange bleibt Buchmann eine Ausnahme-Erscheinun­g.

„Einen Heilsbring­er wie Jan Ullrich wird es nicht mehr geben“Team Heizomat

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