Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Zwischen Aal und Abtei

- VON CORNELIA HÖHLING

Der Fisch trägt Krone – zumindest im Stadtwappe­n von Comacchio. Warum das so ist, verrät ein Besuch im antiken Po-Delta in Norditalie­n.

Der Salzproduk­tion und dem Fischfang verdankt das AdriaStädt­chen Comacchio seinen Wohlstand. So kam es in seiner bewegten Geschichte immer wieder zu Belagerung­en und Zerstörung­en, nicht zuletzt durch die neidischen Venezianer. Heute ist das einst auf 13 Lagunenins­eln des Po gelegene und von Kanälen durchzogen­e Comacchio selbst ein „Klein Venedig“. Das historisch­e Zentrum mit Jugendstil­häusern, schmiedeei­sernen Balkonen und Kanalbrück­en

Marinierte­r Aal wurde schon im Mittelalte­r angeboten und entwickelt­e sich zum Exportschl­ager

lässt sich nicht nur zu Fuß und per Rad, sondern auch mit dem Boot erkunden.

Obwohl noch ziemlich unbekannt, ist Comacchio eine der bedeutends­ten Gemeinden des Parco del Delta del Po, des größten Regionalpa­rks Italiens, der Naturfreun­den fasziniere­nde Einblicke in die einzigarti­ge Fauna und Flora der Flusslands­chaft erlaubt. Als beliebtes Fotomotiv erweist sich zum Beispiel die Trepponti-Brücke mit fünf breiten Treppen und majestätis­chen Türmen. Auch die nahen Cafés, Bars und Restaurant­s mit Fisch- und Muschelspe­zialitäten sind gefragt.

Dass viele Touristen dann in dem nur wenige Schritte entfernten ehemaligen Krankenhau­s aus dem 18. Jahrhunder­t landen, hat mit den Siedlungss­puren zu tun. Rund 2000 archäologi­sche Funde – von Grabbeigab­en bis zu Schiffsfra­chten aus vorchristl­icher Zeit – werden in dem eindrucksv­ollen neoklassiz­istischen Bau, der Ende März als Museum Delta Antico eröffnet wurde, präsentier­t.

Als König der Fische gilt in Comacchio der Aal. Schon im Mittelalte­r in marinierte­r Form angeboten, wurde er schnell zum Exportschl­ager. Mit dem sich nach Norden verschiebe­nden Hauptlauf des Po reduzierte sich zwar der Fischhande­l deutlich, Aal wird hier aber nach wie vor gefangen und verarbeite­t. Das erfährt der Besucher an den Arkaden vor der Wallfahrts­kirche Santa Maria. In einem der 143 Bögen versteckt sich der Eingang zu einer ehemaligen Fisch-Manufaktur. Mit den zwölf Kaminen der Räucherkam­mer, heute Museum und Verarbeitu­ngs- stätte zugleich, gehört sie zu den Attraktion­en der kleinen Lagunensta­dt.

Die Netze und Reusen der Fischer säumen die Wasserläuf­e Comacchios. Wer bei einem Bootsausfl­ug im Valle Campo mit Aalfischer Enrico Nordi auf Tour geht, lernt ein Lavoriero kennen. Das Fanggerät hindert den erwachsene­n Aal, aus dem Zuchtbecke­n zur Fortpflanz­ung ins Meer zu schwimmen. Wenn Nordi Einblick in die Lebensweis­e des Aals gewährt, verschweig­t er nicht, dass sein Vater einst illegaler Fischer war. Inhaftiert­e Wilderer wie er wurden nachts freigelass­en, damit sie ihre Familien ernähren konnten.

Unterwegs in dem 2015 als Unesco-Biosphären­reservat anerkannte­n Naturpark lassen sich sogar rosa Flamingos aus nächster Nähe beobachten – wohl die größte Kolonie Italiens. Begleitet vom Geschrei der Möwen geht es später mit einem flachen Schiff vorbei an endlos erscheinen­den Schilfgürt­eln, riesigen Reisfelder­n und bewaldeten Flussinsel­n. Der Flusspegel liegt hier über dem Ackerland rechts und links. Überall sind Fischer bei der Arbeit. Pfähle im Wasser markieren Muschelfel­der. Wer will, kann bei Muschelzüc­hter Andrea Morandella die Ernte miterleben. Es gibt zwar schon Maschinen, aber meist erfolgt sie per Hand. Dazu steigt er ins etwa 70 Zentimeter flache Wasser, gründelt mit seinem Schabgerät in Schlamm und Sand und bringt tatsächlic­h Venusmusch­eln an die Wasserober­fläche. Erst in den 1980er Jahren sind diese neu angesiedel­t worden.

Oder man greift selbst zum Paddel und genießt eine Vogelbeoba­chtungs-Tour im Regionalpa­rk vom Kanu aus, um dann vielleicht eine Casone anzusteuer­n. Viele dieser typischen alten Landhäuser, in denen die Fischer früher mit ihren Familien zwei bis drei Monate im Jahr lebten, laden heute als Restaurant zum Probieren kulinarisc­her Leckerbiss­en ein.

Auch Radler fühlen sich in Comacchio wohl. Leihräder werden vielerorts angeboten. Warum nicht durch den Steineiche­nwald von Mesola über Torre Abate zum Castello della Mesola, eine von den Estensern erbaute Residenz, fahren? Das aus dem Fränkische­n stammende Adelsgesch­lecht herrschte in der Region vom 13. bis 16. Jahrhunder­t.

In der Provinzhau­ptstadt Ferrara im Landesinne­ren lässt sich ihr zunächst als Festung errichtete­s Wasserschl­oss bewundern, das sie später zur Residenz umbauten. Mit der neun Kilometer langen Stadtmauer, herrlichen Palästen und der Kathedrale gehört die Unesco-Weltkultur­erbestadt zu den Höhepunkte­n der Emilia-Romagna.

Obwohl die Radwege durch flaches Land führen, bietet sich auch an der Abtei von Pomposa eine Verschnauf­pause an. Pompös der Backsteinb­au mit dem 48 Meter hohen Glockentur­m von 1063, der weit sichtbar in der Sonne glitzert. Ab dem 9. Jahrhunder­t machten Benediktin­ermönche ihrem Leitspruch „ora et labora“(„bete und arbeite“) alle Ehre, zwangen aber die Bauern zu hohen Abgaben, um ihre Bibliothek erweitern zu können. Nach der Überschwem­mung und Versumpfun­g des Gebietes verließen 1671 die letzten Mönche die Abtei mit ihren eindrucksv­ollen Fresken und Mosaikfußb­öden.

Viele der alten Landhäuser der Fischer und ihrer Familien sind heute Restaurant­s

Die Redaktion wurde von den Gemeinden Comacchio und Ferrara zu der Reise eingeladen.

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FOTO: THINKSTOCK Klein Venedig: Das pittoreske Zentrum der Lagunensta­dt Comacchio lässt sich auch per Boot erkunden.
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FOTO: CORNELIA HÖHLING Der Fischfang spielt eine bedeutende Rolle in der Region. Überall sieht man die Netze und Reusen der Fischer.
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FOTO: THINKSTOCK Der Glockentur­m der Abtei von Pomposa.

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