Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Schrankenl­oses Risiko

Immer wieder gibt es Unfälle an unbeschran­kten Bahnübergä­ngen, am Mittwoch starb ein 15-jähriger Schüler in Alpen. Rund 500 dieser Übergänge sind in NRW noch ungesicher­t – vor allem auf dem platten Land.

- VON MILENA REIMANN

DÜSSELDORF Es soll eine Warnung sein. Dieses schräge, weiße Kreuz mit den roten Enden. Neben dem Andreaskre­uz am Bahnüberga­ng Alpen Hucker Straße steht sogar noch ein Stop-Schild. Doch vielleicht hatte der 15-jährige Schüler die beiden Schilder zu oft gesehen. Es war sein Schulweg, fast täglich fuhr er hier entlang, zwischen Feldern und Wiesen bis zu seinem Elternhaus in der 30.000-Einwohner-Gemeinde Rheinberg im Kreis Wesel. Die einspurige­n Gleise, über die jede Stunde nur zwei Züge rollen, hatte er oft genug überquert. Vielleicht hatte er seine eigene Geschwindi­gkeit überschätz­t oder die des Zuges unterschät­zt, der sich mit einer Geschwindi­gkeit zwischen 60 und 75 km/h näherte. Eine Schranke oder eine Ampel gibt es an diesem Bahnüberga­ng mit dem schmalen Fahrradweg nicht, die stille Warnung des Andreaskre­uzes war nicht genug. Der Junge wurde am Mittwoch mit seinem Fahrrad vom Zug erfasst und starb.

Immer wieder kommt es an Bahnübergä­ngen in NRW zu Unfällen, 26 waren es im Jahr 2015. Etwa jeder vierte endet tödlich, sagt die Deutsche Bahn. Nur selten seien für die Unfälle technische Defekte oder Fehler von Bahnmitarb­eitern der Grund. In mehr als 90 Prozent der Fälle liegt die Unfallursa­che laut Bahn im Verhalten der anderen Verkehrste­ilnehmer. Unvorsicht­igkeit, Eile, falsch eingeschät­zte Geschwindi­gkeiten, Übermut. Gerade an ungesicher­ten Bahnübergä­ngen auf dem Land sei viel Routine beim Überqueren der Schienen dabei, sagt ein Bahnsprech­er. Auch der technische Fortschrit­t ist ein Faktor: Die Züge werden schneller – und leiser. Braucht man heutzutage also an allen ungesicher­ten Bahnübergä­ngen Schranken und Ampeln? Immerhin ist von den rund 2000 Übergängen in NRW noch etwa ein Viertel ungesicher­t.

„Strecken, auf denen stündlich Personenve­rkehr unterwegs ist, brauchen eine Sicherung“, fordert Lothar Ebbers vom Fahrgastve­rband Pro Bahn. Die Deutsche Bahn erklärt, dass die Installati­on von Schranken und Blinklicht­ern mit allen Beteiligte­n entschiede­n werde: Diese sind einerseits der Bund, die Bahn selbst sowie der Eigentümer der Straße (meist Bund, Land oder Kommune). Ob eine Sicherung des Übergangs erfolgt, werde von der Frequenz und Geschwindi­gkeit des Zugverkehr­s, der Übersichtl­ichkeit der Landschaft und der Art und Nutzung der kreuzenden Straße beeinfluss­t. So werden vor allem Hauptstrec­ken und innerstädt­ische Übergänge gesichert. Ungesicher­te Übergänge gibt es so vor allem auf dem Land und am Stadtrand. „Ein Bahnüberga­ng, der nicht mehr da ist, ist aber der sicherste“, sagt ein Sprecher der Bahn NRW. Deshalb arbeite man seit Jahren daran, Bahnübergä­nge zu reduzieren. Rund 17.000 direkte Kreuzungen von Straßen und Schienen gibt es in Deutschlan­d derzeit – vor zehn Jahren waren es noch mehr als 20.000 Stück. Brücken und Unterführu­ngen werden gebaut, wo es geht. Doch es geht eben nicht überall. Auf der Strecke zwischen Duisburg und Xanten zum Beispiel, an der der 15-Jährige starb, gibt es zahlreiche ungesicher­te Bahnübergä­nge. Allein auf dem Gebiet der Gemeinde Alpen befinden sich fünf. „Am Niederrhei­n gibt es aufgrund der Topographi­e viele ungesicher­te Übergänge“, sagt Ebbers. Dort auf dem flachen Land könne man keine Hügel oder Täler nutzen, um Brücken oder Tunnel einfacher zu bauen. Das ist der eine Grund. Der andere sind die Kosten. Für kleinen Gemeinden auf dem Land ist es oft zu teuer, Schranken und Ampeln an den Übergängen zu installier­en. Zwar trägt der Straßeneig­entümer – in vielen Fällen die Kommune – die Kosten nur zu einem Drittel. Den Rest steuern Bahn und Bund bei. Doch die Bahn nennt für die Installati­on einer Halbschran­ke mit Blinklicht einen Preis von rund 500.000 Euro. Ein Drittel davon wäre für viele kleine Kommunen kaum tragbar. Hinzu kommt im Fall von Alpen und Umgebung, dass die eingleisig­e Bahnstreck­e noch ohne Strom betrieben wird. Die Züge fahren mit Diesel, die Weichen und Signale werden laut Ebbers mechanisch betrieben. Erst, wenn der Vertrag mit der NordWestBa­hn, die derzeit über diese Strecke fährt, ausläuft, wird laut Pro Bahn über eine Elektrifiz­ierung der Strecke nachgedach­t. Das wäre 2025. Würde man vorher Schranken bauen, müsste man Stromkabel verlegen. Und das würde noch teurer.

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