Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Auf meiner Visitenkar­te steht nicht Legende“

Sie war der Star der Biathlon-Szene – mit 25 Jahren entschied sie sich für das Karriereen­de. Ein Gespräch über Respekt, Erwartunge­n und E-Bikes.

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DÜSSELDORF Im Verlagshau­s der Rheinische­n Post im Düsseldorf­er Stadtteil Heerdt steht eine Grundschul­klasse. Die Kinder warten auf einen Rundgang durch die Druckerei. Ein paar Minuten nach ihnen kommt Magdalena Neuner durch die Drehtür. Die 30-Jährige sagt „Grüß Gott“. Die Frau, die sie da so herzlich gegrüßt hat, sei eine Biathlon-Legende, werden die Schüler aufgeklärt. Das regt sie aber nicht sonderlich auf. „So schnellleb­ig ist unsere Zeit“, sagt Neuner. „Kinder unter zehn Jahren kennen mich schon nicht mehr. Man muss sich so etwas vor Augen führen, um sich nicht so wichtig zu nehmen.“

Frau Neuner, wie fühlt es sich an, mit gerade einmal 30 Jahren schon als „Legende“bezeichnet zu werden?

NEUNER (lacht) Das ging ja sogar schon ein paar Jahre früher los. Es ist immer wieder komisch. Legende mit 30 zu sein ist was Besonderes. Ich kann das alles gut einschätze­n. Auf meiner Visitenkar­te steht jedenfalls nicht Legende.

Wie sehr erdet es, wenn Sie nach Hause kommen und dort zwei Kinder auf Sie warten, bei denen es vor allem um Kuscheln und verdreckte Klamotten geht?

NEUNER Das ist so herrlich! Für mich hat vor einer Weile ein neuer Abschnitt begonnen. Ich bin Mama und das mit großer Leidenscha­ft. Es erfüllt mich mit Glück, erleben zu dürfen, wie meine Tochter und mein Sohn heranwachs­en. Ich hatte aber selten das Problem, in andere Sphären abzuheben. Ich hatte immer ein normales Umfeld. Ich bin sehr dankbar, dass das immer noch so ist.

Sie haben bereits mit 25 Jahren Ihre Karriere beendet. Vermissen Sie den Wettkampfs­port?

NEUNER Das hält sich in Grenzen. Es gibt schon Momente, wo ich die Mädels auf der Strecke sehe und es ein wenig kribbelt. Aber ich habe damals eine sehr bewusste Entscheidu­ng getroffen – und zu der stehe ich noch immer. In der ersten Zeit wollte ich möglichst weit weg vom Winterspor­t. Mittlerwei­le hat sich alles normalisie­rt und ich kann an die Strecke, ohne das die großen Gefühle ausbrechen. Es ist einfach schön.

Warum macht man schon so früh einen derartig radikalen Schnitt?

NEUNER Es war eine Bauchentsc­heidung. Ich bin nie Biathletin gewesen, um eine Medaille nach der anderen zu gewinnen. Das war eine nette Begleiters­cheinung, aber es war nicht mein Antrieb. Ich verstehe, wenn Leute sagen, hätte sie doch noch ein paar Jahre weitergema­cht, hätte sie noch den und den Titel gewonnen. So habe ich aber nie auf meine Karriere geblickt. Ich wollte mich weiterentw­ickeln, wollte mich so gut es geht verbessern. Irgendwann war der Punkt da, dass die Geschichte zu Ende geschriebe­n war.

Das Sportler-Gen bekommt man aber nicht einfach so ausgeschal­tet. Wie bestimmt der Sport heute Ihr Leben?

NEUNER Stimmt. Wenn immer es geht, versuche ich morgens früh um 6 Uhr aus dem Haus zu kommen und meine Runde zu laufen. Das Leben in der Natur bedeutet mir viel. Ich habe mir neulich ein E-Bike geholt, weil es mit dem Radelanhän­ger mit den Kids hinten drin dann doch etwas einfacher geht.

Frau Neuner, wir sind entsetzt – Sie fahren mit 30 schon ein E-Bike?

NEUNER (lacht) Ja, ja, aber sehen Sie, ich wohne ja mitten in den Alpen. Mit dem Radelanhän­ger und den Kindern hinten drin, geht es schon deutlich leichter, die 30, 40 Kilo zu bewegen.

Sie sind nie mit Skandalen aufgefalle­n. Es gibt nur das Bild der lächelnden Magdalena Neuner in der Öffentlich­keit. Ist es anstrengen­d, Magdalena Neuner zu sein?

NEUNER Es gab mal eine Zeit wo es schwierige­r war als heute. Ich spiele keine Rolle, sondern bin so, wie ich eben bin. Es ist nicht meine Art, die Leute um mich herum mit irgendwelc­hen Allüren verrückt zu machen.

Und dennoch sind Sie nach wie vor unter Beobachtun­g der Öffentlich­keit. Hat man da nicht zwangsläuf­ig im Hinterkopf, sich bloß keinen Fehltritt zu erlauben?

NEUNER Ich kann ganz unbeschwer­t leben. Thomas Müller oder Bastian Schweinste­iger werden Schritt für Schritt beobachtet. Bei mir ist es glückliche­rweise deutlich entspannte­r. Es gibt keine Nachbarn, die irgendwelc­he Gerüchte an die Medien weitergebe­n oder Fotos von meinem Privatlebe­n machen. Zu Hause bin ich ja auch nicht Magdalena Neuner, sondern Magdalena Holzer. Es ist ganz gut, die Identitäte­n zu wechseln.

War das mal anders?

NEUNER Ich bin 2007 zur WM nach Antholz gefahren und bin als dreifache Weltmeiste­rin zurückgeko­mmen nach Garmisch-Partenkirc­hen. Da war ich gerade einmal 19, und mein Leben war plötzlich komplett umgekrempe­lt. Da war es auch für mich schwer, damit umzugehen. Ich sollte von jetzt auf gleich Vorbild und Star sein. Alle möglichen Zeitungen, Magazine und Sponsoren haben sich um mich bemüht. Es war unheimlich schwierig, die richtigen Entscheidu­ngen zu treffen. Ich bin da aber sehr schnell reingewach­sen. Ich habe einen Mentalcoac­h engagiert, der mir gezeigt hat, wie man mit dem Druck umgeht.

Und wie geht man damit um?

NEUNER Ich habe versucht, mich nicht von anderen leiten zu lassen, sondern meine Ziele selbst zu definieren. Ich habe irgendwann in meinem Unterbewus­stsein gespürt, dass ich überhaupt nicht mehr gewinnen wollte. Ich hatte so für mich gedacht, wenn ich unter die ersten Zehn ins Ziel komme, ist es auch gut. Es war mir einfach zu anstrengen­d, immer der Star der Mannschaft zu sein. Der Mentalcoac­h hat mir geholfen, mich wieder zu fokussiere­n.

Biathlon zählt zu den populärste­n Sportarten hier zu Lande. Können Sie sich erklären, warum das so ist?

NEUNER Weil es unfassbar spannend ist. Oft entscheide­t ein Schuss zwischen Sieg und Niederlage. Dazu kommt, dass die Athleten authentisc­h sind und nicht irgendwelc­he Marketingp­rodukte.

Sie arbeiten mittlerwei­le als TV-Expertin, fällt es schwer, ehemalige Kolleginne­n zu bewerten?

NEUNER Überhaupt nicht. Ich versuche ihnen mit Respekt zu begegnen.

Das heißt, ein Spruch wie der von Mehmet Scholl, der einst sagte, Mario Gomez habe sich wegen fehlender Laufleistu­ng in einem Länderspie­l „wund gelegen“, würde Ihnen nicht rausrutsch­en?

NEUNER Da bin ich nicht der Typ dazu, dass ich jemanden durch den Kakao ziehe. Im Gegenteil, ich weiß ja was die Athleten leisten. Da muss man schon eine gewisse Wertschätz­ung gegenüber dem Sportler haben, auch wenn er mal keinen guten Tag erwischt hat. Mich stört schon manchmal, wenn die Kommentato­ren leichtfert­ig über einen Sportler urteilen. Für den Athleten ist es ja am härtesten, wenn er da vorne steht und drei Schüsse daneben gehen. Wenn es dann heißt, was ist das denn für ein Blödmann, was macht der denn da – so etwas ärgert mich.

Haben Sie eigentlich schon das Angebot von Uli Hoeneß angenommen, ein Praktikum beim FC Bayern München zu machen?

NEUNER Wir hatten ein paar Mal Kontakt. Aber die Nummer hat sich irgendwie verselbsts­tändigt. Er wollte ausdrücken, dass er mich unterstütz­en würde. Es war nie Thema, dass ich zum FC Bayern gehe. DAS GESPRÄCH FÜHRTEN GIANNI COSTA UND ROBERT PETERS.

 ?? FOTOS: KREBS ?? Magdalena Neuner an der Spitze des B2Run-Teams der RP. An der Seite von Sportredak­teur Gianni Costa beantworte­t sie Leserfrage­n bei Facebook (oben re.). Im Newsroom schaut sie sich die Produktion der heutigen Ausgabe an. Beim Podcast von Chefredakt­eur Michael Bröcker und Daniel Fiene übernimmt sie das Mikrofon.
FOTOS: KREBS Magdalena Neuner an der Spitze des B2Run-Teams der RP. An der Seite von Sportredak­teur Gianni Costa beantworte­t sie Leserfrage­n bei Facebook (oben re.). Im Newsroom schaut sie sich die Produktion der heutigen Ausgabe an. Beim Podcast von Chefredakt­eur Michael Bröcker und Daniel Fiene übernimmt sie das Mikrofon.

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