Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Gottes frommer Polarisierer
Im Alter von 83 Jahren ist Joachim Kardinal Meisner gestorben. 25 Jahre lang leitete er das Erzbistum Köln – und war so verehrt wie umstritten.
Sein letzter Weihnachtsgottesdienst 2013 im Dom zu Köln hätte leicht sein schlimmster werden können. Als die 20-jährige Femen-Aktivistin Josephine Witt barbusig auf den Altar sprang und ihren Oberkörper zur Schau stellte – darauf gepinselt: „I am God.“Doch Joachim Kardinal Meisner, der an diesem Tag seinen 80. Geburtstag feierte, reagierte souverän. Er segnete den Altar erneut, setzte den Gottesdienst fort und schloss am Ende auch Josephine Witt in seinen Segensgruß ein: „Jeder hat den Segen verdient. Sogar die verwirrte Frau vorhin. Sie schließe ich mit ein, sie hat es wohl am nötigsten.“Gestern Morgen ist der verehrte wie umstrittene Kardinal, der 25 Jahre lang das Erzbistum leitete, im Urlaub in Bad Füssing 83-jährig gestorben – mit einem Gebetbuch in der Hand.
„Jeder hat den Segen verdient“– so konnte Meisner auch sein: zugewandt, nachsichtig, humorvoll, charmant. „Ah, da ist ja mein größter Feind“, sagte er bisweilen zur Begrüßung. Und dann buffte er einen beherzt in den Oberarm und lachte. Auf diese Weise pflegte er Journalisten zu begrüßen.
Viele Male bin ich Kardinal Meisner begegnet. Die eindrücklichsten Treffen waren jeweils kurz nach Mitternacht auf dem Campo Santo Teutonico im Vatikan. Der Anlass war derselbe: die Wahl eines neuen Papstes wenige Stunden zuvor. Bei Franziskus zeigte er sich überrascht, neugierig. „An Bergoglio habe ich nicht gedacht“, sagte er. Und: „Es ist erstaunlich, wie ein Mensch in eine andere Rolle kommt und dann auch wirklich ganz anders ist. Es ist eben der Papst; und ich bin froh, dass wir im Bischofskollegium wieder ein Gesicht haben.“Das klang freundlich und zuversichtlich. Was fehlte, war die Herzlichkeit. Zuletzt gehörte Meisner gar zu den Kritikern des Jesuiten auf dem Stuhl Petri.
Bei der Papstwahl 2005 weinte Meisner hingegen, ergriffen von der Wahl des Deutschen Joseph Ratzingers („Das ist für mich ein Wunder“) und wohl noch erschüttert vom Tode seines Freundes Johannes Paul II. Bis zum Ende hatte Meisner den Papst aus Polen begleitet, saß an seinem Sterbebett. Sogar einen Blutstropfen Johannes Pauls brachte Meisner mit nach Köln. In einem Schaugefäß ließ er die päpstliche Reliquie im Dom ausstellen, die vor einem Jahr jedoch gestohlen wurde.
Meisner und der damalige Kardinal Wojtyla von Krakau verfügten über ähnliche Kirchenerfahrungen: der Bischof im kommunistischen Polen sowie der 1933 im schlesischen Lissa geborene und in der DDR lebende Bischof. Er habe Kirche, so Meisner, nie anders erlebt, „als dass ihr der Wind ins Gesicht geblasen hat“. Meisner wich dem Gegenwind nicht. Als Weihbischof in Erfurt und als Berliner Bischof weihte er im Geheimen 60 tschechische und slowakische Priester. Unvergessen bleibt sein Satz auf dem Katholikentreffen in Dresden 1987: „Wir wollen keinem anderen Stern folgen als dem von Bethlehem.“Nach dem Mauerfall wurden die Worte zur Inschrift der neuen Glocke der Dresdner Herz-Jesu-Kirche.
Bei der Suche nach einem neuen Erzbischof von Köln 1988 gab es für Johannes Paul II. darum keinen Besseren und Verlässlicheren als den Ost-Berliner. Ein heikles Unterfangen. Denn die Wahl des Nachfolgers von Kardinal Höffner geriet zum Machtkampf zwischen Rom und der Erzdiözese, den nach fünfzehnmonatigem Tauziehen der Papst gewann. Dafür musste sogar der Wahlmodus geändert werden: Statt absoluter Mehrheit war nun lediglich die einfache Mehrheit im 16köpfigen Domkapitel erforderlich. Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt machte der neue Erzbischof klar, dass er nicht zu den Verzagten gehört. So klärte er die Rheinländer über ihre Gemeinsamkeit auf: „Sie haben mich nicht gewollt, und ich habe Köln nicht gewollt.“– „Is hä dat?“, fragten damals Tünnes und Schäl auf einem Karnevalswagen. Er war es. Im Nachhinein aber sahen nicht wenige in der Einführung des Ost-Berliner Bischofs eine Vorwegnahme der Wiedervereinigung.
Kardinal Wojtyla hatte auch Meisners Talent zu predigen beeindruckt. Wer den Erzbischof einmal im Gottesdienst erlebte, weiß, was gemeint ist. Wortgewaltig war Meisner, mitunter schneidend. Selbst der gotische Dom schien ihm nicht zu groß zu sein. Die Kanzel war der Ort seines Wirkens, nicht der Schreibtisch.
Ein kaum beachtetes, ihm aber wichtiges Amt war so auch der Vorsitz der Liturgischen Kommission der Bischofskonferenz. Oft kritisierte er Versuche, die Messe modern zu machen. Alles „muss nur noch Action haben, von vorne bis hinten“, wetterte er. Eucharistie als Schauspiel und die Zelebration als Rollenspiel – das ging ihm am Sinn der Messe vorbei. Zu seinen großen Erfolgen zählt daher nicht nur der Weltjugendtag mit über 400.000 Pilgern und knapp 10.000 Priestern, den er 2005 nach Köln holte mit dem neuen deutschen Papst als Gast, sondern auch der Eucharistische Kongress acht Jahre später. Auch das ein wichtiges, wenngleich stilleres Glaubensfest im „hillijen Köln“.
Seine Erfahrungen im gottverlassenen Osten und seine Auseinandersetzung mit den Kommunisten haben Meisner misstrauisch und kompromisslos werden lassen. Am Ausstieg der katholischen Kirche aus der staatlichen Schwangerenkonfliktberatung war er maßgeblich beteiligt. Gegen den Willen der meisten seiner Mitbrüder und auch hinter ihrem Rücken agierend. Er pflegte ein spannungsreiches Verhältnis zur katholischen Laienbewegung und blieb den Katholikentagen meist fern. Auf einer Veranstaltung der konservativen neokatechumenalen Bewegung lobte er den Kinderreichtum der Mitglieder mit den Worten: „Eine Familie von euch ersetzt mir drei muslimische Familien.“Und als die katholische Kirche darüber zu diskutieren begann, ob Frauen als Diakoninnen geweiht werden könnten, meinte er nur: „Wo leben die denn?“Am Rande: Das moderne Kirchenfenster von Gerhard Richter blieb ihm verhasst. „Es ist da, ich nehme es zur Kenntnis“, sagte er.
Keine Frage, an Meisner scheiden sich die Geister. Kantig ist er gewesen, polarisierend. Aber auch das wird als Vermächtnis seiner Arbeit bleiben: dass auf sein Betreiben hin im Erzbistum jene Regeln zum Umgang mit Opfern und Tätern des sexuellem Kindesmissbrauchs durch Priester erarbeitet wurden, die dann wegweisend auch für viele andere deutsche Bistümer wurden.
Meisner blieb nach seiner Entpflichtung in Köln wohnen. „Ich bleibe in Köln, sie werden mich nicht los“, sagte er, der seine Berufung lebte und liebte. Noch im Ruhestand bekannte er: „Käme ich noch einmal zur Welt, würde ich sofort wieder Priester werden – dann aber ohne Mitra.“Und der Tod? „Das ist eine Realität, die mich gar nicht schreckt.“