Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Sagans Ausschluss spaltet den Radsport
Top-Favorit Froome fährt bei der ersten Bergankunft der 104. Tour de France ins Gelbe Trikot.
DÜSSELDORF Man würde gerne einmal in den Kopf von Peter Sagan gucken. In den Kopf jenes Mannes, der wie kein Zweiter derzeit den Radsport elektrisiert. Ein Mann, der zum Medienphänomen wurde. Der aber auch unberechenbar scheint und sich offenbar wenig darum schert, was andere von ihm denken. So zumindest ist der öffentliche Eindruck, den er häufig vermittelt. Ob authentisch oder inszeniert, bleibt dabei ein Geheimnis. Trotzdem wird er mit seinem Rockstar-Aussehen und seiner entsprechenden Attitüde von der Szene geliebt und gefeiert, weil Typen jeder Sportart guttun – und gerade der Radsport einen Typen wie ihn brauchte.
Seit der vierten Etappe der 104. Tour de France hat dieses Everybody’s-Darling-Image allerdings einen erheblichen Dämpfer erhalten. Der zweimalige Weltmeister wurde ausgeschlossen, weil er Mark Cavendish, der sich die Schulter brach, absichtlich im Sprint bei mehr als 60 km/h mit dem Ellenbogen in die Absperrung drückte. So zumindest die Ansicht der Rennjury.
Dass er einen Fehler gemacht hatte, erkannte Sagan schnell. Er eilte zum Bus von Cavendishs Team Dimension Data und versuchte sich zu entschuldigen – erfolglos. Der Rennstall legte Protest ein, die Jury reagierte mit dem Ausschluss. Sagan beteuerte: „Mark kam von rechts, und ich wollte an das Hinterrad von Alexander Kristoff. Er kam sehr schnell von hinten und hat mich berührt. Ich hatte keine Zeit zu reagieren und es kam zum Sturz.“
Den Protest von Sagans deutschem Team Bora-hansgrohe, das mit einem Eilantrag auf eine einstweilige Verfügung erfolglos den internationalen Sportgerichtshof CAS einschaltete, lehnte die Jury ab. Sagans Aus ist ein Paukenschlag. Auch für seinen Rennstall, das mit ihm sportlich und medial glänzen wollte. Die dritte Etappe hatte Sagan ja gewonnen.
Dabei sind Entgleisungen im Sprint bei ihm keine Ausnahme. „Da fährt ein Typ im Weltmeister-Trikot, der meint, er könne sich alles erlauben“, sagte André Greipel nach der Zielankunft. Auch er geriet mit Sagan aneinander, lehnte dessen Entschuldigung mit den Worten „du hast mich heute das zweite Mal beinahe gekillt“ab. Hinterher ruderte Greipel via Twitter zurück: „Manchmal sollte ich mir die Bilder ansehen, bevor ich rede. Entschuldigung an Peter Sagan – die Strafe ist zu hart.“Andere schlossen sich dieser Meinung an. BoraTeamchef Ralph Denk sprach von „einem Rennunfall. Es gab eine Berührung, Peter musste mit dem Bike balancieren, dafür braucht er seine Ellbogen. Das war kein Vorsatz.“
Sagan genießt unter den Sprintern zwar nicht das beste Image, schien allerdings Narrenfreiheit in einem Sport zu haben, dessen größtes Aushängeschild er ist. Po-Kneifer bei Da- Peter Sagan men während Siegerehrungen, übertriebene Jubelposen bei Erfolgen oder merkwürdige und despektierliche Interviewauftritte: Kritische Stimmen begleiteten den 27Jährigen, waren aber stets zu leise gegenüber der Geräuschkulisse seiner Fans. Sein Gesamtpaket machte ihn zum Superstar des Sports.
Nun aber könnte seine unbekümmerte Fassade Kratzer bekommen. Der Hype um ihn wird nicht abnehmen, aber um eine unerwünschte Nebenerscheinung ergänzt werden. Zumindest verabschiede sich Sagan mit Stil. „Es tut mir leid, dass Mark Cavendish zu Fall gekommen ist und sich verletzt hat. Ich hoffe, dass er schnell gesund wird. Ich habe aber nichts falsch gemacht. Ich bin gegen die Entscheidung der Jury, aber ich akzeptiere sie“, sagte er.
Bei der ersten Bergankunft löste Topfavorit Christopher Froome seinen Teamgefährten Geraint Thomas als Gesamtführenden ab. Als stärkste Widersacher zeigten sich Etappensieger Fabio Aru (Italien), der 2,5 Kilometer vor dem Ziel attackierte, und der Australier Richie Porte, der zeitgleich mit Froome als Vierter ins Ziel kam.
„Ich bin gegen die Entscheidung der Jury, aber ich akzeptiere sie“ Rad-Weltmeister