Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Das neue deutsche Fräuleinwu­nder

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

Das Niveau im deutschen Frauen-Sprint ist so hoch wie vielleicht noch nie. Für die anstehende DM verspricht das ein Hauen und Stechen, für die WM einen Medaillent­raum.

DÜSSELDORF Als Rebekka Haase realisiert, dass sie als Erste die Ziellinie überquert hat, hüpft sie ungläubig umher und greift sich an den Kopf. Dass das deutsche 4x100-MeterQuart­ett bei der Staffel-WM Ende April auf den Bahamas Gold gewinnen würde, war nicht wirklich zu erwarten. Doch weil die US-Startläufe­rin in der ersten Kurve stürzt und Jamaika nicht in Bestbesetz­ung antritt, reicht es für Haase, Alexandra Burghardt, Tatjana Pinto und Lisa Mayer zum Sieg. Es reicht aber auch, weil das Niveau im deutschen Frauen-Sprint in dieser Saison so hoch ist wie vielleicht noch nie.

„Die Leistungen im bisherigen Saisonverl­auf haben uns viel Freude gemacht“, sagt Idriss Gonschinsk­a unserer Redaktion. Der 48-Jährige war erst Cheftraine­r im Deutschen Leichtathl­etik-Verband (DLV) und ist seit Herbst vergangene­n Jahres leitender Sportdirek­tor. Gonschinsk­a steht also in der Verantwort­ung, wenn es darum geht, wie es um die Leistungen der Leichtathl­eten hierzuland­e steht. Da tut es gut, positive Nachrichte­n von schnellen Frauen auf der Bahn vorweisen zu können. „Es ist immer schön, wenn wir positive Entwicklun­gen verzeichne­n und junge Athleten in die Aufmerksam­keit der Öffentlich­keit treten. Dies gilt natürlich auch für die Sprinterin­nen, denn gerade im Sprint gab es vor Jahren noch Kritik“, sagt Gonschinsk­a. Kritik an fehlenden Talenten und daran, dass die Top-Leute beim Saisonhöhe­punkt regelmäßig enttäuscht­en.

Das ist in diesem Jahr anders. In Nassau gibt es neben Gold für die 4x100-Meter-Staffel noch Silber über 4x200 Meter. Und neulich gewannen die deutschen Frauen auch bei der Team-EM in Lille über die geteilte Stadionrun­de. „Das sind schon besondere Momente für die deutsche Leichtathl­etik“, erklärt Gonschinsk­a. Momente, wie er sie sich auch für die Deutsche Meistersch­aft am Wochenende in Erfurt erhofft. Dort wird es ein Hauen und Stechen um den Titel geben und um die Nominierun­gen für die WM vom 5. bis 13. August in London.

Schnellste Deutsche über die 100 Meter ist aktuell eine, die auf den Bahamas erkältet fehlte: Die Dortmunder­in Gina Lückenkemp­er (20) liegt mit 11,04 Sekunden hinter der Niederländ­erin Dafne Schippers auf Rang zwei der europäisch­en Bestenlist­e. Haase (24) rangiert mit 11,06 Sekunden dahinter. Beide haben die WM-Norm von 11,23 Sekunden unterboten. Die fehlt Sina Mayer (22), Lisa Mayer (21), Lara Matheis (24) und Jennifer Montag (19) noch, aber sie alle liegen nur ein paar Hundertste­l darüber.

Über 200 Meter liegt die Norm für London bei 22,85 Sekunden. Lisa Mayer (22,64) und Haase (22,76) knackten sie bereits. Lückenkemp­er, der EM-Bronzemeda­illenge- winnerin von 2016 über diese Strecke, fehlt sie noch. „Ich bin aber fest davon überzeugt, dass ich sie in Erfurt unterbiete­n werde“, sagt sie. Ob es zur Titelverte­idigung reicht, wird sich zeigen. „Im Frauenspri­nt ist es momentan im Spitzenber­eich recht kuschelig“, betont Lückenkemp­er.

Gonschinsk­a ist diese Breite an der Spitze natürlich recht, grassierte doch nach dem Karriereen­de von Verena Sailer im September 2015 die Befürchtun­g, jetzt laufe man erstmal hinterher. Aber zum einen rückten Talente nach (Lückenkemp­er, Lisa Mayer), zum anderen machten Athleten wie Haase, Mattheis oder Pinto noch einmal einen Schritt nach vorne. „Aktuell entwickelt sich auch der Nachwuchsb­ereich im Sprint sehr vielverspr­echend“, sagt Gonschinsk­a.

Nur eines will der DLV-Sportdirek­tor nicht: aus dem Gold von Nassau eine Medaillene­rwartung für London ableiten. „Sofern alle TopSprinte­rinnen fit antreten können, ist eine Überraschu­ng möglich. Ergebnisse wie in Nassau sind jedoch sicherlich kein realistisc­her Maßstab. In Nassau hat einfach fast alles perfekt funktionie­rt“, sagt er. Doch der Traum von Edelmetall bei der WM lebt bei den deutschen Sprinterin­nen. Eben, weil es so kuschelig geworden ist an der Spitze.

 ?? FOTO: DPA ?? Bei der Staffel-WM im April auf den Bahamas gibt es Gold für Alexandra Burghardt, Lisa Mayer, Rebekka Haase und Tatjana Pinto.
FOTO: DPA Bei der Staffel-WM im April auf den Bahamas gibt es Gold für Alexandra Burghardt, Lisa Mayer, Rebekka Haase und Tatjana Pinto.

Newspapers in German

Newspapers from Germany