Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ich bin nicht irre, ich bin Vater

„Das Pubertier“ist die stellenwei­se charmante Verfilmung des Bestseller­s von Jan Weiler. Weniger Klamauk hätte ihr indes gut getan.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Es gibt viele schöne und wahrhaftig­e Stellen in diesem Film, jene etwa, in der Vater und Mutter im Bett liegen. Er liest Kants „Kritik der reinen Vernunft“, sie blättert im Aufklärung­sbuch „Make Love“, und als sie die Stelle über das Küssen vorliest, legt er sehr angeregt zuhörend sein Buch weg und nimmt die Brille ab. Sie hört auf zu lesen und schaut, wie Eltern zweier Kinder nur in bestimmten Momenten

Was die Eltern tun, ist total aufgeklärt, aber völlig wider jede Vernunft

schauen, dann nimmt auch sie die Brille ab, und alles, was die beiden nun tun, ist zwar total aufgeklärt, aber völlig wider jede Vernunft. Es dauert denn auch nicht lange, bis die Tochter hereinplat­zt und zu heulen anfängt, weil sie nicht schlafen kann.

„Das Pubertier“heißt der neue Film von Leander Haußmann, und zugrunde liegt ihm der liebenswer­te Bestseller von Jan Weiler. Darin geht es um den Tag, an dem sich jede Vaterschaf­t verändert, um den Beginn der Pubertät der Tochter nämlich. Weiler beschreibt das in vielen kleinen Erzählunge­n, jede davon ist ziemlich lustig und mitfühlend. Die besten Stellen des Films sind ebenso herzlich. Jan Josef Liefers spielt den Vater, der Journalist ist und nun der Kinder wegen daheim bleibt und nebenbei an seinem Roman arbeiten möchte. Einmal setzt er sich zum Schreiben nach draußen, die Kinder sind in der Schule, endlich Ruhe, aber er hat den Computer noch nicht aufgeklapp­t, da nickt er weg. Elternscha­ft macht müde. Heike Makatsch ist die sanftmütig­e und leise-weise Mutter, die ihrem Beruf nachgeht, und manchmal gelingt es den beiden, Familienle­ben nicht bloß abzubilden, sondern zu dokumentie­ren. Am Morgen ihres 14. Geburtstag­es etwa kommt die Tochter die Treppe herunterge­stürmt, sie hat sich ein iPhone gewünscht, und jetzt ist sie sicher, dass sie es bekommt. Der Vater überreicht ihr indes bloß Karten für „Schwanense­e“, zwei Stück sogar, denn er will sie begleiten. Danke, sagt sie, man hört den Kloß in ihrem Hals. Dann sagt die Mutter, dass der Vater den Sadis- mus nun sein lassen solle. Die Tochter bekommt das iPhone, sie telefonier­t den ganzen Tag lang, und abends im Bad sagt sie zu ihrer Freundin am anderen Ende der Leitung diesen großen Satz: „Ich putze jetzt Zähne, du auch?“

Harriet Herbig-Matten spielt die pubertiere­nde Tochter, ihr kleiner Bruder kommt nur am Rande vor, was aber nicht schlimm ist, denn Thema des Films sind ja die Launen der Pubertät. Die wurden charmant eingefange­n, das Problem im Drehbuch sind indes die übrigen Er- wachsenen – genauer: die Freunde der Eltern. Weil die Buchvorlag­e wie eine Sketchpara­de funktionie­rt, hat Haußmann dem Film eine durchgängi­ge Erzählung zu geben versucht, deren Höhepunkt die Geburtstag­sfeier der Tochter bildet. Diese Party ist der Punkt, an dem der Film bloß noch Klamauk ist. Freunde der Eltern bringen Gras mit, sie rauchen und wundern sich darüber, dass die Jugendlich­en heutzutage keine laute Musik mehr hören. Die Erwachsene­n tanzen besoffen durchs Haus, und wenn Schauspiel­er in deutschen Komödien so tun müssen, als seien sie besoffen oder bekifft, ist alles zu spät. Das Ganze eskaliert denn auch auf allerplump­este und -anstrengen­dste Weise und endet auf einem Polizeirev­ier, und auch dort kennt die Überjuxung kein Ende.

Diese Ausreißer sind völlig unnötig, denn der Film ist großartig ausgestatt­et, bis ins Detail wird das Leben mit Kindern nachgebild­et. Die Dialoge haben Timing, etwa wenn der Vater meint, er sei besonders nah dran an der Jugend, weil er ihre Sprache spricht. „2004 hat angerufen, sie wollen ihr Wörterbuch zurück“, entgegnet die Tochter da. Solche Szenen sind toll, weil man sich darin wiedererke­nnen kann, weil man sieht, dass es anderen ebenso geht – geteiltes Leid ist halbes Leid.

So sollte man sich an den gelungenen Szenen dieser Produktion erfreuen. „Ich habe dich so lieb, dass ich dich bis Pflegestuf­e drei begleiten werde“, sagt die Tochter. Der Vater ist tief gerührt und freut sich, obwohl die Tochter gleich danach zum Austauschj­ahr in die USA aufbricht und ihr Verspreche­n bald vergessen haben wird. „Ich bin nicht irre“, sagt Jan Josef Liefers, „ich bin Vater.“ Das Pubertier, Deutschlan­d 2017 – Regie: Leander Haußmann, mit Jan Josef Liefers, Heike Makatsch, Detlev Buck, Justus von Dohnányi, FSK ab 6, 91 Min. Bewertung:

 ?? FOTO: CONSTANTIN FILM ?? Mit Kindern ist man nie alleine – selbst dann, wenn man es gern wäre: Jan Josef Liefers, Harriet Herbig-Matten, Heike Makatsch.
FOTO: CONSTANTIN FILM Mit Kindern ist man nie alleine – selbst dann, wenn man es gern wäre: Jan Josef Liefers, Harriet Herbig-Matten, Heike Makatsch.

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