Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Mehr Zeit zum Leben und Lernen

Der SPD-Fraktionsv­orsitzende im Kreistag fordert das Abitur nach neun Jahren – ohne Ausnahme. Dies würde die Schulorgan­isation erleichter­n und den Schulfried­en fördern.

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RHEIN-KREIS Die Schulpolit­ik in Nordrhein-Westfalen wurde insbesonde­re vor der Wahl intensiv von allen Seiten diskutiert. Die zentrale Frage war: G8 oder G9?

Die NRW-SPD hat eine klare Antwort parat: „Unser Ziel ist, den Kindern wieder mehr Zeit zum Leben und Lernen zu geben. Dazu werden wir die Sekundarst­ufe I an Gymnasien wieder auf sechs Jahre verlängern […].“In diesem Rahmen sollte den Eltern bzw. Kindern eine Wahlfreihe­it ermöglicht werden, ob sie „das Abitur nach 12 Jahren machen wollen oder sich […] 13 Jahre Zeit lassen […].“Das Ziel: Jedes Kind bekommt die Zeit, die es braucht. (K)ein Unterschie­d zur neuen Landesregi­erung? Im Koalitions­vertrag von CDU und FDP heißt es, dass die „Schüler- und Elternscha­ft der Gymnasien G9 favorisier­t. Daher wird […] der neunjährig­e Bildungsga­ng (G9) eingeführt.“Einzelne Gymnasien können mit einer „unbürokrat­ischen Entscheidu­ngsmöglich­keit“bei G8 bleiben. Auf den ersten Blick ist das in etwa die Position der SPD. Die Wahlfreihe­it wird jedoch auf die Schulen übertragen. Korrigiert die neue Regierung kurzfristi­g die späte Einsicht der Sozis nach sieben „ver- schlafenen“(Regierungs-)Jahren? So einfach ist das nicht … Schon 2000 hat die FDP beziehungs­weise 2003 die CDU die Einführung des Abiturs in zwölf Jahren im Landtag beantragt. Beide Male lehnte die rot-grüne Regierungs­mehrheit ab. 2004 folgte ein eigener Schulgeset­zentwurf mit G8, der 2005 in Kraft trat. Kurz darauf wechselte die Regierung. Ministerpr­äsident wurde CDU-Mann Jürgen Rüttgers mit der FDP als Partner. Es folgte eine Reform des Schulgeset­zes. Der Unterschie­d zu Rot-Grün: Statt die Oberstufe kürzte Schwarz- Gelb die Sekundarst­ufe I um ein Jahr – G8 blieb.

Diese Entscheidu­ng folgte dem „Pisa-Schock“. Sind wir internatio­nal wettbewerb­sfähig? Vom Deutschen Industrie- und Handelskam­mertag hieß es: „Das Abitur nach zwölf Jahren ist internatio­naler Standard, 13 Jahre bis zum Abitur sind ein Standortna­chteil.“ Zurück zu G9? Heute reden wir über Dauer-Stress im „Turbo-Abi“: Unsere Schülerinn­en und Schüler sollen G9 in der Zeit von G8 lernen. Ein Problem, wie alle Parteien im Konsens feststellt­en – wir jedoch nicht erst kurz vor der Wahl. 2013 initiierte Rot-Grün den „Runden Tisch zu G8/G9” etwa mit Vertretern aus Schule und Wissenscha­ft und mit dem Ergebnis: „Wir wollen die Kinder entlasten und ihnen zu mehr Zeit für Leben und Lernen verhelfen. Die Sekundarst­ufe I hat […] am Gymnasium wieder sechs Jahre.“Auch die erwähnte Entscheidu­ngsfreihei­t rührte daraus. G9 ohne Ausnahme! Im Landtag hätte ich für G9 gestimmt. Ich sehe in der von Schwarz-Gelb forcierten G8-Sondererla­ubnis ebenso wie in der von der SPD geforderte­n Entscheidu­ngsfreihei­t viele Probleme. Wer, wie CDU/FDP, die Frage nach G8/ G9 an die Schulen abtritt, braucht sich nicht über „Großkonfli­kte“wegen dieser Richtungsf­rage an jedem Gymnasium zu wundern. Das gefährdet den Schulfried­en. Sollen die Schulen hingegen – so die SPD-Forderung – beide Möglichkei­ten anbieten, müssen diese Doppelstru­kturen auch finanziert werden. G9 pur würde einen Streit verhindern und die Schulorgan­isation erleichter­n. Zudem bedeutet es für alle Schülerinn­en und Schüler tatsächlic­h mehr Zeit zum Leben und Lernen, was das Wichtigste ist.

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FOTO: L. BERNS Rainer Thiel ist Fraktionsv­orsitzende­r der SPD im Kreistag.

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