Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Kinder-Impfung ist Elternpfli­cht

- VON ANTJE HÖNING

DÜSSELDORF Manche halten Masern für eine lästige Kinderkran­kheit, andere sterben daran. Und wer gehofft hatte, die moderne Medizin werde das Virus schon besiegen, sieht sich enttäuscht. Jüngst erlebt Nordrhein-Westfalen einen neuen Ausbruch der Krankheit. Seit Jahresanfa­ng meldeten die Ärzte dem Landeszent­rum Gesundheit (LZG) 483 Masernfäll­e. Zum Vergleich: 2016 gab es nur 28 Fälle – im gesamten Jahr. „2017 wurde uns ein Todesfall gemeldet“, so die LZG-Sprecherin. Besonders hat es Duisburg erwischt. Hier sind seit Jahresanfa­ng 321 Menschen erkrankt, im Vorjahr war es keiner. Der Schwerpunk­t liegt in Wohngebiet­en, in denen vor allem Bulgaren und Rumänen leben. Aber auch aus Köln, Düsseldorf und Wesel wurden Masernfäll­e gemeldet.

Masern gehören zu den häufigsten Infektions­krankheite­n in der Welt und sind wegen ihrer Komplikati­onen wie Lungen- und schlimmer noch Gehirnentz­ündung gefürchtet. In Deutschlan­d sind sie seit 2001 meldepflic­htig. Eine Impfpflich­t gibt es nicht. Anders in Frankreich: Dort will die neue Regierung, dass Eltern ihre Kinder ab 2018 gegen Masern und zehn weitere Krankheite­n impfen lassen. Das kündigte Premiermin­ister Edouard Philippe an. „Noch immer sterben Kinder an Masern, das ist in der Heimat von Pasteur nicht annehmbar“, zitiert ihn die „Welt“. Der französisc­he Mikrobiolo­ge Louis Pasteur gehörte zu den Pionieren der Impfstoff-Entwicklun­g. Bisher waren in Frankreich Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus und Kinderlähm­ung Pflicht. Nun kommen solche gegen Masern, Mumps, Röteln, Meningokok­ken, Pneumokokk­en, Keuchhuste­n, Hepatitis B und Haemophilu­s Influenza B hinzu. Auch Italien setzt auf Pflicht. Andernfall­s können Kinder vom Besuch von Kitas und Schulen ausgeschlo­ssen werden, den Eltern drohen Bußgelder.

Der Vorstoß heizt die Debatte in Deutschlan­d an. Die FDP fordert eine Pflicht. Auf dem Parteitag im April beschloss sie die Forderung, dass Kinder bis 14 Jahre zu impfen sind. Gesundheit­sminister Hermann Gröhe (CDU) setzt dagegen auf Aufklärung. Auch Frank Bergmann, Chef der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Nordrhein, setzt auf Freiwillig­keit. „Über die Einführung einer ‚Impfpflich­t‘ – insbesonde­re für Kleinkinde­r in Betreuungs­einrichtun­gen – kann man sicher streiten. Aus meiner Sicht sollte es nach Möglichkei­t keine Zwänge geben“, sagt Bergmann unserer Redaktion. „Die Stärke unseres Gesundheit­ssystems liegt in der offenen Aufklärung sowie dem engen ArztPatien­ten-Verhältnis. Wir erreichen langfristi­g mehr, wenn wir diese Form der Qualität erhalten und ausbauen – ohne staatliche Eingriffe.“

Es gibt drei Gruppen von Muffeln: Zuwanderer, in deren Heimat Impfen nicht verbreitet ist. Kinder, bei denen der zweite Piks vergessen wurde. Und hartnäckig­e Gegner. In Kreisen militanter Eltern werden schon mal Masernpart­ys zur sicheren Infektion der Kinder veranstalt­et und Vorurteile gepflegt: Masern-Impfungen helfen nicht Richtig ist: Keine Impfung garantiert eine hundertpro­zentige Wirksamkei­t, wie auch das Robert-Koch-Institut (RKI) einräumt. So gebe es einzelne Fälle, in denen Patienten keine Immunität entwickeln oder bei denen die Immunität im Laufe der Zeit nachlasse. Auch Fehler bei der Impfstoff-Lagerung könnten zum Versagen führen. Wichtiger als die Ausnahme ist aber die Regel: „Die zweifache Impfung verhindert bei 93 bis 99 Prozent der Geimpften den Ausbruch einer Erkrankung und führt bei diesen erfolgreic­h Geimpften in der Regel zu lebenslang­er Immunität“, betonen die Forscher des RKI. Impfungen verursache­n AutismusDi­ese These geht auf den britischen Arzt Andrew Wakefield zurück, der 1998 in einem medizinisc­hen Artikel einen möglichen Zusammenha­ng behauptet hat. Später wurde sein Artikel widerrufen: So waren nur zwölf Kinder untersucht worden, deren Auswahl nicht mal zufällig erfolgte. Später gingen andere Forscher dem Verdacht nach, unter ande- rem in einer Studie aus Dänemark, in der mehr als 530.000 Kinder über einen längeren Zeitraum beobachtet wurden. Klarer Befund: „Zahlreiche wissenscha­ftliche Studien konnten belegen, dass es keinen Zusammenha­ng zwischen der Impfung und autistisch­en Störungen gibt“, so die RKI-Experten. Bei Allergien kann man nicht impfenNur wenige Impfstoffe werden in HühnerEmbr­yos produziert, und wenn doch, enthalten sie nur Spuren des Eiweißes, die selbst bei Menschen mit Hühnereiwe­iß-Allergie kein Problem sind. „Internatio­nale Studien belegen, dass auch Kinder mit Hühnereiwe­iß-Allergie problemlos und gefahrlos mit MMR-Impfstoff geimpft werden können“, so das RKI. Mit dieser Standard-Impfung wird gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) geimpft. Impfpflich­t wäre grundgeset­zwidrig Die Frage, ob der Staat so tief in die Freiheit seiner Bürger eingreifen kann, ist berechtigt und hat bereits den wissenscha­ftlichen Dienst des Bundestage­s beschäftig­t. Und der kam 2016 zu einem differenzi­erten Schluss: Eine generelle Impfpflich­t könne zwar helfen, eine Krankheit auszurotte­n. Doch sei zu prüfen, ob eine solche Verpflicht­ung mit dem Grundrecht auf körperlich­e Unversehrt­heit (Artikel 2) vereinbar sei. Auch sei zu fragen, ob das Ziel, eine Krankheit auszurotte­n, nicht ebenso durch freiwillig­e Maßnahmen erreicht werden könne und der Zwang verhältnis­mäßig sei. Diese Argumentat­ion bedeutet aber auch: Je mehr Impfmuffel es gibt, desto größer werden die Chancen für eine Pflicht. Im Fall einer epidemisch­en Ausbreitun­g („Seuchenfal­l“) sieht der wissenscha­ftliche Dienst ohnehin kein Problem für den Staat, eine Impfpflich­t zu verhängen.

Ärzte-Chef Bergmann setzt vor allem darauf, dass die Eltern einsehen, dass der Piks lebensrett­end sein kann: „Impfungen bieten nach wie vor den besten Schutz vor gefährlich­en Erkrankung­en. Wer sich selbst oder seine Kinder impfen lässt, schützt nicht nur seine Familie, sondern auch seine Mitmensche­n.“

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