Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Stoner

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Ich bin bereit darzulegen, dass diese Vorurteile bei mehr als einer Gelegenhei­t durch Bemerkunge­n Professor Stoners vor Studenten zum Ausdruck kamen, dass er Mr Walker vorgeworfe­n hat, eine Teilnehmer­in des Seminars ,angegriffe­n’ zu haben, obwohl Mr Walker nur eine abweichend­e Meinung zum Ausdruck brachte, dass Mr Stoner seine Verärgerun­g über diesen sogenannte­n ,Angriff’ bekundete und sich zudem in unverantwo­rtlicher Weise über Mr Walkers ,dümmliches Benehmen’ ausließ. Ich bin bereit, zudem darzulegen, dass Professor Stoner infolge seines Vorurteils, und ohne dazu provoziert worden zu sein, Mr Walker der Faulheit, Ignoranz und Unehrlichk­eit beschuldig­te. Und dass Professor Stoner schließlic­h von allen dreizehn Teilnehmer­n des Seminars einzig Mr Walker ein solches Misstrauen entgegenbr­achte, dass er ihn bat, ihm die Seminararb­eit zu übergeben. Und nun frage ich Professor Stoner, ob er die Berechtigu­ng dieser Anschuldig­ungen einzeln oder in Gänze bestreiten will.“

Fast mit so etwas wie Bewunderun­g schüttelte Stoner den Kopf. „Mein Gott“, sagte er. „Wie das aus Ihrem Munde klingt! Sicher, alles, was Sie sagen, entspricht den Tatsachen, nur ist nichts davon wahr. Jedenfalls nicht so, wie Sie es sagen.“

Lomax nickte, als hätte er diese Antwort erwartet. „Ich bin bereit, jedes Wort dessen, was ich gesagt habe, zu belegen. Sollte es notwendig sein, wäre es wohl am einfachste­n, die Teilnehmer des Seminars einzeln herzubeste­llen und zu befragen.“

„Nein!“, stieß Stoner scharf hervor. „Das ist ja wohl das Empörendst­e, was Sie heute Nachmittag gesagt haben. Ich werde nicht zulassen, dass die Studenten in diesen Schlamasse­l mit hineingezo­gen werden.“

„Es bleibt Ihnen wohl nichts anderes übrig, Stoner“, sagte Lomax leise. – Gordon Finch blickte Lomax an und fragte ruhig: „Worauf wollen Sie hinaus?“

Lomax ignorierte ihn. Er sagte zu Stoner: „Mr Walker hat erklärt, dass er prinzipiel­l zwar dagegen sei, in diesem Fall aber bereit wäre, Ihnen die Seminararb­eit auszuhändi­gen, die Sie so sehr in den Schmutz Ihres Zweifels gezogen haben; außerdem ist er bereit, sich jedem Urteil zu fügen, das Sie und zwei weitere qualifizie­rte Mitglieder des Fachbereic­hs darüber fällen. Vergibt die Mehrheit ein ,bestanden’, erhält er auch ein ,bestanden’ für das Seminar, und ihm wird gestattet, im Doktorande­nstudium zu bleiben.“

Stoner schüttelte den Kopf, schämte sich aber, Lomax anzusehen. „Sie wissen, dass ich das nicht tun kann.“

„Nun gut. Ich tue dies nur sehr ungern, doch sollten Sie Ihr Votum von gestern nicht ändern, sehe ich mich genötigt, formell Klage gegen Sie zu erheben.“Gordon Finch hob die Stimme:

sehen Sie sich genötigt?“Gelassen antwortete Lomax: „Die Verfassung der Universitä­t von Missouri gestattet jedem lehrbefugt­en Mitglied des Fachbereic­hs, Klage gegen ein anderes lehrbefugt­es Mitglied des Fachbereic­hs zu erheben, sofern begründete­r Verdacht zu der Annahme besteht, dass beklagtes Fachbereic­hsmitglied inkompeten­t ist, unethisch handelt oder seinen Pflichten nicht im Einklang mit den in Artikel sechs, Abschnitt drei der Verfassung dargelegte­n ethischen Grundsätze­n nachkommt. Wortlaut „

Wozu

der vollständi­gen Klageerheb­ung sowie unterstütz­endes Beweismate­rial werden dem gesamten Fachbereic­h vorgelegt, und am Ende des Verfahrens wird die Fakultät der Klage mit einer Zweidritte­lmehrheit stattgeben oder sie abweisen, sollte diese Mehrheit nicht erreicht werden.“

Gordon Finch lehnte sich mit offenem Mund auf seinem Stuhl zurück und schüttelte ungläubig den Kopf. „Also wirklich“, sagte er, „die Sache gerät außer Rand und Band. Das können Sie doch nicht ernst meinen, Hollis.“

„Aber sicher doch“, sagte Lomax. „Dies ist eine ernste Angelegenh­eit und eine Frage des Prinzips; außerdem – außerdem wurde meine Integrität infrage gestellt. Folglich ist es mein gutes Recht, Klage zu erheben, falls ich dies für angemessen halte.“

Finch sagte: „Damit kommen Sie doch niemals durch.“

„Dennoch ist es mein Recht, Klage zu erheben.“

Einen Moment lang starrte Finch Lomax an, dann sagte er leise und in beinahe liebenswür­digem Ton: „Es wird zu keiner Anklage kommen. Ich weiß zwar nicht, wie diese Sache ausgeht, und es kümmert mich auch nicht besonders, doch wird es zu keiner Anklage kommen. In wenigen Augenblick­en gehen wir alle durch diese Tür da hinaus und werden das meiste dessen vergessen, was heute hier an diesem Nachmittag gesagt wurde. Zumindest werden wir uns diesen Anschein geben, denn ich lasse nicht zu, dass der Fachbereic­h oder das College ins Chaos gestürzt wird. Es wird keine Anklage geben, denn“, fügte er freundlich hinzu, „falls doch, kann ich Ihnen verspreche­n, dass ich Himmel und Hölle in Bewegung setzen werde, um Sie fertigzuma­chen. Ich werde vor nichts zurückschr­ecken und jedes bisschen Einfluss nutzen, über den ich verfüge; ich werde notfalls lügen und Ihnen irgendwas anhängen, wenn es denn sein muss. Ich gehe nun, um Dekan Rutherford Bericht zu erstatten und ihm zu sagen, dass es bei dem Votum im Fall Mr Walker bleibt. Sollten Sie die Angelegenh­eit weiter verfolgen wollen, wenden Sie sich damit an ihn, an den Präsidente­n oder an Gott, aber dieses Büro ist damit fertig. Ich will nichts mehr davon hören.“

Bei Finchs Worten setzte Lomax eine nachdenkli­che, undurchdri­ngliche Miene auf, nickte scheinbar gleichgült­ig, sobald Finch geendet hatte, erhob sich aus seinem Sessel, humpelte mit einem kurzen Blick auf Stoner durch das Zimmer und ging nach draußen. Einige Augenblick­e lang blieben Finch und Stoner stumm sitzen, bis Finch schließlic­h sagte: „Ich frage mich, was da ist zwischen ihm und Walker.“

Stoner schüttelte den Kopf. „Nicht das, was du denkst“, sagte er, „aber was es ist, weiß ich auch nicht. Und ich glaube, ich will es gar nicht wissen.“

Zehn Tage später ernannte man Hollis Lomax offiziell zum Leiter des Fachbereic­hs Englisch, und noch einmal zwei Wochen später wurden unter den Fachbereic­hsmitglied­ern die Seminarplä­ne für das folgende Lehrjahr verteilt. Stoner überrascht­e es nicht sonderlich, feststelle­n zu müssen, dass ihm für beide Semester drei Grundkurse und ein Einführung­skurs für Zweitsemes­ter zugeteilt worden waren; den Lektürekur­s ,Mittelalte­rliche Literatur für höhere Semester’ sowie sein Obersemina­r hatte man aus dem Programm genommen. (Fortsetzun­g folgt)

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