Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Mit Bauchgefüh­l gegen Raser

Der Bundesgeri­chtshof hat die Bewährungs­strafen für zwei verurteilt­e Kölner Autoraser aufgehoben. Für ihr tödliches Rennen könnten sie doch ins Gefängnis müssen. Die Richter wollen das „Rechtsempf­inden der Bevölkerun­g“stärken.

- VON HENNING RASCHE

KARLSRUHE/KÖLN Es war der frühe Abend des 14. April 2015, als zwei junge Männer auf eine folgenschw­ere Idee kamen. Sie fuhren mit ihren hochmotori­sierten Autos (171 und 233 PS) in Richtung der Rheinterra­ssen in Köln-Deutz. Knapp anderthalb Kilometer vor dem Ziel entschiede­n sich die damals 21 und 22 Jahre alten Männer zu einem Duell. Welches Auto ist schneller? Wer der geschickte­re Fahrer? Sie drückten das Gaspedal durch, mit der Absicht, als Erster ans Ziel zu kommen. In einer längeren Linkskurve erreichte einer der beiden eine Geschwindi­gkeit von 95 Stundenkil­ometern, erlaubt waren 50. Durch das gegenseiti­ge Drängeln verlor er die Kontrolle und kam von der Straße ab. Er erfasste eine 19 Jahre alte Studentin, die wenig später an ihren Verletzung­en starb.

Das Landgerich­t Köln hat die Männer deswegen im April 2016 wegen fahrlässig­er Tötung zu Bewäh- rungsstraf­en von zwei Jahren beziehungs­weise einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Auf das Urteil folgte ein Aufschrei: viel zu milde, viel zu verständni­svoll, habe das Landgerich­t reagiert. Der Rechtsstaa­t greife gegen illegale Raser nicht entschiede­n genug durch.

Diesem Aufschrei haben nun Deutschlan­ds höchste Strafricht­er zugestimmt. Der Bundesgeri­chtshof in Karlsruhe hat das Kölner Urteil gestern aufgehoben und an eine andere Kammer zurückverw­iesen. Den beiden Rasern droht nun Gefängnis. Die Richter beanstande­n nämlich nicht die Höhe der Strafe, sondern lediglich, dass sie zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der vierte Strafsenat gab damit der Staatsanwa­ltschaft Recht. Diese wollte die Kölner in Haft sehen.

Dabei verwendet der Bundesgeri­chtshof ein erstaunlic­hes Argument. Die Vorsitzend­e Richterin Beate Sost-Scheible sagte in der Urteilsbeg­ründung: „Das Landgerich­t Köln hat sich nicht ausreichen­d da- mit auseinande­rgesetzt, wie sich die Bewährung auf das Rechtsempf­inden der Bevölkerun­g auswirkt.“Auch die Zunahme illegaler Autorennen in verschiede­nen Städten des Landes und die Tatsache, dass die Männer die tödliche Gefahr durch ihre riskante Fahrweise bewusst herbeigefü­hrt haben, hätte berücksich­tigt werden müssen.

Das „allgemeine Rechtsempf­inden und das Vertrauen der Bevölkerun­g in die Unverbrüch­lichkeit des Rechts“, wie es in der Karlsruher Entscheidu­ng heißt, wird nicht alle Tage bei solchen Fällen zu Rate gezogen. Der Düsseldorf­er Strafverte­idiger Udo Vetter hört diesen Satz daher mit „enormem Unbehagen“. Er findet es falsch, dass etwas so Vages und Unbestimmt­es wie ein Gefühl die Rechtsprec­hung leiten sollte. „Richter sollten nach Recht und Gesetz urteilen und nicht nach dem, was sie von ihren Tennisfreu­nden hören“, sagt Vetter.

Zwar sei das Rechtsempf­inden schon eine juristisch­e Kategorie, aber gleichwohl eine untergeord­nete. „Strafe einen, erziehe 100 – das funktionie­rt zwar, aber dann wird jemand stärker bestraft als nach seiner individuel­len Schuld notwendig“, meint Rechtsanwa­lt Vetter. Er mahnt: „Der Rechtsstaa­t ist kein Emotionsst­aat.“Gleichwohl sei eine Bewährungs­strafe von zwei Jahren grenzwerti­g, das könne auch als Haftstrafe verbüßt werden. Der Bundesgeri­chtshof, sagt Udo Vetter, will bei Rasern derzeit „Pflöcke einrammen“. Die Richter wollten mit ihren Entscheidu­ngen abschrecke­nde Wirkung entfalten.

Erst in der vergangene­n Woche hat der Bundestag die Strafen für illegale Autorennen verschärft. Dabei handelt es sich nun nicht mehr um Ordnungswi­drigkeiten, sondern um Straftaten. Wer bloß an einem solchen Rennen teilnimmt, muss mit bis zu zwei Jahren Haft rechnen. Wenn ein Unbeteilig­ter dabei schwer verletzt wird oder umkommt, dann drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis.

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