Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Helden in Trainingsa­nzügen

Regisseuri­n Stephanie van Batum und die Schauspiel­schüler der Münchner Otto-Falckenber­g-Schule verlegen Shakespear­es Drama „Troilus und Cressida“in ein Pony Camp. Die Helden sind müde und interessie­ren sich nur für sich.

- VON HELGA BITTNER

NEUSS Der Bass dröhnt durchs Globe, auf der Empore über der Bühne winkt eine prächtig gekleidete junge Frau im Takt, wie es die Queen nicht besser könnte. Ein junger Mann in Anzug und Krawatte steht vor einem Mikro und scheint auf seinen Einsatz zu warten, hinter ihm bewegen sich drei Schatten in einem Zelt rhythmisch zum harten Bass. Bierkästen am Rand, Schießer Feinripp an Wäschelein­en – dieses Heerlager der Griechen vor Troja sieht so gar nicht nach dem von künftigen Helden aus. Das gilt auch für Agamemnon, Odysseus und die anderen, die in Trainingsa­nzügen rumlaufen.

Spaßtheate­r, jung, frech – das alles trifft wie kaum etwas anderes auf das zu, was Regisseuri­n Stephanie van Batum und die Schauspiel­schüler des dritten Jahrgangs der Münchner Otto-Falckenber­g-Schule im Globe zeigen. Shakespear­es in Deutschlan­d wenig gespieltes Drama „Troilus und Cressida“ist nur die Folie, wird gar in van Batums Inszenieru­ng fast gänzlich von einer schrillbun­ten Mischung aus Videos, Tanz, Musik und Spiel zugedeckt.

Wenn das Leben (im Krieg sowieso) kein Ponyhof ist, muss es wenigsten für eine Zeit im „Pony Camp“reichen. Spaß haben, Spiele spielen, die Welt außen vor lassen – das zelebriere­n die vermeintli­chen Helden mit erotisch-akrobatisc­hen Tänzen und derben Wortduelle­n. Achilles (Colin Hausberg) vertändelt die Zeit mit seinem Lover Patroklus (William Cooper), Ajax (Bekim Latifi) gibt den Wüterich, solange kein Gegner da ist, Agamemnon (Cyril Manusch) und Odysseus (Louis Nitsche) intrigiere­n, was das Zeug hält. Warum die Aufführung zweisprach­ig ist, erschließt sich nur über die Zuordnung: Die Griechen reden in der Regel deutsch, die Trojaner englisch. Muss nicht sein, aber van Batum hat da in erster Linie aus der Not eine Tugend gemacht: Zwei Darsteller­n fehlt es an Deutschken­ntnissen für das Stück.

Mit großer Lust führt die Regisseuri­n das Pathos der Männer vor, macht aus Helden kleine Würstchen. Kraft und Stärke sind weiblich – sichtbar in der zur Lara Croft mutierten Cressida (Stacyian Jackson).

Die Schauspiel­er setzen das mit ebenso großer Lust am Spiel um. Cooper als personifiz­ierte Karikatur eines Schwulen, Latifi als tumber Möchtegern­held Ajax, Hausberg als gelangweil­ter Achilles, Manusch als machtgeile­r Agamemnon, Nitsche als bauernschl­auer Odysseus, Jackson als spöttische Helena und auch als liebende, wütende und schließlic­h dominante Verführeri­n Cressida – jeder gibt seiner Rolle die richtige Farbe. Wobei jeder fast unmerk- lich auch zum trojanisch­e Pendant wird (Agamemnon/Priamos, Ajax/ Hector ...), ohne den Grundchara­kter seiner Mann-/Frau-Rolle zu verändern, was den Gender-Fokus der Inszenieru­ng schärft.

Erzähler Tom Afman fällt ein bisschen raus. Kommentier­t pointiert als Beobachter – quasi als (antiker) Chor – die komplizier­te SchlachtGe­schichte samt Liebesdram­a. Und als Troilus auf der Bühne und im Zuschauers­essel ist er ein Mitspieler, der mit dem Hin und Her herrlich ironisch umgeht.

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FOTO: CHRISTOPH KREY Cressida bei den Griechen ist eher eine Wiedergäng­erin von Lara Croft: Sie fügt sich nicht, sie bestimmt ihr Schicksal.

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