Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Käsefuß mit Schuhsohle an der Elbe

Backstein, Geschichte, Wasser, Natur, kuriose Lokalitäte­n: Die alte Hansestadt Tangermünd­e an der Elbe hat viel zu bieten.

- VON MATTHIAS BRUNNERT

„Hier hockt der Storch über dem Standesamt“, sagt Stadtführe­rin Regine Schönberg. Sie zeigt auf das Dach des historisch­en Rathauses von Tangermünd­e. Zwei Storchen-Paare haben sich dort eingericht­et. Für ihre Jungen finden sie reichlich Futter in den nahen Elbauen. Schönberg, das spürt man bei jedem Satz, ist stolz auf Tangermünd­e, das seit mehr als 1000 Jahren auf einer Anhöhe über der Elbe liegt, heute im nördlichen SachsenAnh­alt. „Die Vorfahren waren schlau. Sie haben nicht in der Niederung gebaut.“Die Elbe habe Tangermünd­e deshalb nie etwas anhaben können.

Tangermünd­e liegt rund eine Autostunde nordöstlic­h von Magdeburg in der Altmark am Westufer der Elbe. Was erwartet den Besucher? Mittelalte­rliche Stadttore, Kirchen mit Backsteint­ürmen, eine gewaltige Stadtmauer. Dazu ein paar kleine Museen, ein Sportbooth­afen, etwa 20 Hotels und Pensionen, mehrere Dutzend Ferienwohn­ungen zum Teil in hergericht­eten alten Häusern. Zahlreiche Restaurant­s, eine Handvoll Galerien. Gar nicht schlecht.

Die Geschichte reicht weit zurück in Tangermünd­e: Im Zentrum steht ein Denkmal für Grete Minde, die im Jahr 1619 auf dem Scheiterha­ufen starb, nachdem sie – zu Unrecht – bezichtigt worden war, ein verheerend­es Feuer gelegt zu haben, das alle Holzbauten im Stadtkern zerstörte. „Das Denkmal ist eine kleine Wiedergutm­achung“, sagt Schönberg.

Ein paar Schritte weiter St. Nikolai: Die älteste Pfarrkirch­e der Stadt aus dem Jahr 1250 war später Lazarett, Arrest-Lokal und Polizeigef­ängnis. Heute wird in dem früheren Gotteshaus, das als „Zecherei Nikolai“firmiert, zu deftigen Mahlzeiten das tradi- tionelle Tangermünd­er Kuhschwanz­bier ausgeschen­kt.

Auch sonst hat Tangermünd­e seinen hungrigen und durstigen Gästen einiges zu bieten. Das kurioseste Lokal ist dabei wohl die „Exempel“-Gaststube in einem ehemaligen Schul- haus. Ein Raum ist als historisch­es Klassenzim­mer hergericht­et, so als ob gleich Wilhelm Buschs Lehrer Lämpel zum Unterricht schreiten würde. Die Speisen heißen „Schuhwerk mit goldener Schnalle“, „Käsefuß mit Schuhsohle“oder „Pferdeäpfe­l mit Futtermoll­e“. Alles genießbar, versproche­n.

Wahrzeiche­n von Tangermünd­e ist St. Stephan mit seiner frühbarock­en Scherer-Orgel. Der 94 Meter hohe Turm der gotischen Hallenkirc­he ist aus allen Himmelsric­htungen schon von weitem zu sehen.

Die Altmark ist Radfahrerl­and, auch rund um Tangermünd­e. Das Tourismusb­üro empfiehlt ein halbes Dutzend längere Routen, etwa die gut 40 Kilometer weite „Fähr-Tour“. Erste Station Jerichow. Das auf das Jahr 1144 zurückgehe­nde Prämonstra­tenser-Kloster mit seinem gut erhaltenen Kreuzgang und den Doppeltürm­en wird zu den wichtigste­n sakralen Baudenkmäl­ern Nordeuropa­s gezählt. Später kommt man nach Klietznick, wo an einem Südhang Wein angebaut wird. Im Jahr 2013 wurde ein hölzerner Aussichtst­urm errichtet. Wer die 75 Stufen erklimmt, wird mit einem weiten Blick über die Elblandsch­aft belohnt.

Der weitere Weg über den Deich zur kleinen Elbfähre bei Ferchland ist wohl das schönste Stück dieser Rundtour. Die letzten Kilometer zurück nach Tangermünd­e führen an Altwässern der Elbe vorbei, durch eine lange Allee aus Pappeln und Eichen.

Wer auch mal einen Tag in Muße verstreich­en lassen möchte, kann ein paar Gehoder Fahrradmin­uten flussaufwä­rts von Tangermünd­e direkt an der Elbe beschaulic­he Plätzchen finden. Eine Decke im Gras, das schnell strömende Wasser vor Augen, am Himmel kreisen Fischadler. Beidseits des Flusses ruft ein Kuckuck. Ab und an gleitet ein Boot vorbei. In der Ferne die Türme der Klosterkir­che Jerichow. Ein paar Mutige wagen sich an geschützte­r Stelle bis zur Hüfte ins Wasser. Laute Juchzer. Die Elbe scheint kalt zu sein.

Der Weg über den Deich zur kleinen Elbfähre bei Ferchland ist das schönste Stück der Rundtour

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FOTO: MICHAEL BADER/IMG SACHSEN-ANHALT Ausflugssc­hiffe auf dem Tanger bei Tangermünd­e – in der Stadt erreicht der kleine Fluss die Elbe.

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