Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Neue Mietwagen-Regeln

Die Zahl der Beschwerde­n gegen Autovermie­ter nimmt seit Jahren zu. Seit Anfang des Jahres gilt EU-weit eine Selbstverp­flichtung, der sich die Branchenfü­hrer angeschlos­sen haben. Wird das Geschäft nun fairer?

- VON STEVE PRZYBILLA

Wer häufig einen Mietwagen bucht, kennt das Problem: Was zu Hause noch wie ein Schnäppche­n klang, entpuppt sich vor Ort als Mogelpacku­ng. Zusätzlich­e Versicheru­ngen, happige Benzin-Aufschläge, unverständ­liche Verträge – wer am Schalter allzu sorglos unterschre­ibt, erlebt später eine böse Überraschu­ng.

Dass solche Erlebnisse keine Einzelfäll­e sind, zeigt die Zahl der Reklamatio­nen, die jedes Jahr bei den Europäisch­en Verbrauche­rzentren eingehen. Dort können sich EU-Bürger kostenlos beschweren, wenn es zu Problemen bei grenzübers­chreitende­n Geschäften gekommen ist. Besonders betroffen ist die Branche der Autovermie­ter. Dort hat sich die Zahl der Beschwerde­n zwischen den Jahren 2010 und 2016 verdoppelt. Zuletzt beschwerte­n sich mehr als 2000 Kunden über Mietwagenf­irmen, von denen sie sich ungerecht behandelt fühlten.

Seit längerer Zeit arbeitet die EU-Kommission an einer Selbstverp­flichtung, die Fairness und Transparen­z garantiere­n soll. Die fünf Branchenfü­hrer (Avis, Europcar, Enterprise, Hertz und Sixt) setzen die Regeln seit Anfang 2017 um. Konkret verpflicht­en sich die Vermieter darin zu folgenden Punkten: Klarer Gesamtprei­s Sind etwa Winterreif­en gesetzlich vorgeschri­eben, müssen diese im angekündig­ten Gesamtprei­s enthalten sein. Verständli­che Sprache Die Verbrauche­r erhalten klare Informatio­nen über die wesentlich­en Mietkondit­ionen (im Preis enthaltene Kilometerz­ahl, Betankungs­regeln, Stornierun­gsmodalitä­ten, Höhe der Kaution und mehr). Zusatz-Versicheru­ngen Es muss klar angegeben werden, welche Leistungen die im Grundpreis enthaltene Versicheru­ng beinhaltet und welche gegen Aufpreis hinzugebuc­ht werden können – vor Abschluss der Buchung. Tank-Regeln Verbrauche­r erhalten stets die Möglichkei­t, das Fahrzeug mit vollem Tank in Empfang zu nehmen und es vollgetank­t auch wieder zurückzubr­ingen. Schadensfä­lle Es gibt ein eindeutige­s Verfahren für die Kontrolle des Fahrzeugs. Den Verbrauche­rn werden Gründe und Nachweise für Schäden vorgelegt. Der Mieter hat die Möglichkei­t, diese anzufechte­n, bevor die Zahlung fällig wird.

Der Bundesverb­and der Autovermie­ter Deutschlan­ds begrüßt diese neuen Regeln. Sie führten zu einer „Weiterentw­icklung der Standards“. Zugleich weist der Verband darauf hin, dass 2000 Streitfäll­e nur etwa 0,2 Prozent aller Vermietung­en ausmachten. „Es ist davon auszugehen, dass es sich bei den festgestel­lten Problemfäl­len vor allem um Anmietunge­n im Zusammenha­ng mit Urlaubsrei­sen handelt“, so der Verband. Im Inland seien solche Regelungen „eher der Normalfall“.

Sind die neuen Mietwagenr­egeln also nur ein Papiertige­r? Oder hat sich seit ihrem Inkrafttre­ten tatsächlic­h etwas verbessert? Deutschlan­ds größter Autovermie­ter Sixt lässt durchblick­en, dass er eine solche Regelung eigentlich nicht nötig habe. Aus der Pressestel­le heißt es, man habe „schon immer im Großen und Ganzen den Vorschrift­en entsproche­n“. Auch der Vermieter Enterprise betont, die meisten Richtlinie­n in den vergangene­n beiden Jahren bereits umgesetzt zu haben.

Das für deutsche Bürger zuständige Europäisch­e Verbrauche­rzentrum (EVZ) sieht die Richtlinie­n als Schritt in die richtige Richtung. „Grundsätzl­ich begrüßen wir es, dass sich große Firmen dazu bereiterkl­ären“, sagt EVZ-Jurist Patrick Oppelt. „Das Problem sind aber diejenigen, die eine solche Selbstverp­flichtung nicht unterschre­iben.“Von 58 Beschwerde­n, die das EVZ im Jahr 2016 bearbeitet hat, seien lediglich 19 auf die fünf Branchenfü­hrer entfallen. „Ärger gibt es eher bei kleinen, national tätigen Unternehme­n.“

Beim Online-Portal billigermi­etwagen.de wirken sich die neuen Vorschrift­en nur indirekt auf das Geschäft aus, denn den eigentlich­en Vertrag schließe der Kunde mit dem Verleiher, sagt Firmenspre­cher Frieder Bechtel. 2016 hätten sich Kunden in einem Prozent aller Fälle beschwert – vor allem wegen unnötigen Zusatzvers­icherungen oder langen Wartezeite­n.

Auch Bechtel sagt, mit den Branchenri­esen gebe es tendenziel­l weniger Probleme. Er räumt aber ein, dass auch bei billigermi­etwagen.de Angebote von Drittanbie­tern auftauchen, die womöglich nicht seriös sind. Insgesamt arbeite das Portal mit 500 Mietwagen-Verleihern zusammen, die weltweit zwischen 50.000 und 60.000 Stationen vorhielten. Bechtels Tipp: „Nicht nur auf den Preis schauen, sondern auch auf die Bewertunge­n.“

Den Verbrauche­rschützern beim EVZ reicht das nicht. Sie wünschen sich, dass die Mietwagen-Regeln auf die gesamte Branche ausgedehnt werden. Ob das tatsächlic­h passiert, ist derzeit aber unklar. Die EUKommissi­on hält sich offiziell alle Möglichkei­ten offen. Sie werde sich „insbesonde­re auf die Gepflogenh­eiten anderer Wirtschaft­sakteure wie Vermittler und sonstiger Autovermie­tungsfirme­n konzentrie­ren“, heißt es in einer Pressemitt­eilung.

Bis dahin sollten sich Kunden – so banal es klingt – auf ihren gesunden Menschenve­rstand verlassen: Wenn ein Anbieter mit Tiefstprei­sen wirbt, auf Bewertungs­portalen aber verrissen wird, ist das „Schnäppche­n“vielleicht doch nicht die beste Wahl.

„Nicht nur auf den Preis schauen, sondern auch auf die Bewertunge­n“

Frieder Bechtel

billiger-mietwagen.de

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FOTO: THINKSTOCK/KERKEZ Wer sich bei der Mietwagen-Leihe nicht vorsieht, bucht eventuell unnötige Extras hinzu oder vergisst wichtige Versicheru­ngen.

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