Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Leben in den Wäldern

Vor 200 Jahren wurde Henry David Thoreau geboren – nun wird sein Werk wiederentd­eckt.

- VON WELF GROMBACHER

CONCORD „Ich finde es gesund, die meiste Zeit allein zu sein“, schreibt Henry David Thoreau in seinem bekanntest­en Buch „Walden oder das Leben in den Wäldern“, nachdem er gut zwei Jahre in einer selbst gebauten Hütte am Waldensee als Einsiedler gelebt hat. „Gesellscha­ft, selbst mit den Besten, wirkt bald ermüdend und zerstreuen­d. Ich bin unendlich gerne allein. Noch nie fand ich den Gesellscha­fter, der so gesellig war wie die Einsamkeit. Wir sind meistens einsamer, wenn wir hinausgehe­n unter die Menschen, als wenn wir in unserem Zimmer bleiben.“

Zurückgeke­hrt in die Zivilisati­on, bringt er 1854 das Buch heraus, das ihn berühmt macht. Es wird zum Klassiker der Aussteiger und Alternativ­en. Die Bedürfniss­e aufs Wesentlich­e reduzieren und das Leben vereinfach­en – das ist seine Kernaussag­e. Wer die Anfangskap­itel liest, wird kaum glauben, dass sie vor mehr als 150 Jahren geschriebe­n worden sind. Noch heute pilgern Tausende ins Städtchen Concord in Neuengland, in dem Thoreau am 12. Juli 1817 auf die Welt kam. Dort- hin, wo der „Wahnsinn einen sanfteren Verlauf“nimmt, wie sein Mentor Ralph Waldo Emerson schrieb, der sich 1835 im Ort niedergela­ssen und die erste literarisc­he Kommune Amerikas mitbegründ­et hatte.

Mit fast wissenscha­ftlicher Präzision widmete sich Henry David Thoreau dem Naturstudi­um. Die paar Kröten, die er fürs Leben brauchte, verdiente er sich durch Gartenarbe­it oder als Landvermes­ser. So blieb Zeit zum Schreiben. Auch in der elterliche­n Bleistift-Fabrik half er immer wieder aus. Steuern zahlte er als souveränes Individuum außerhalb der Gesellscha­ft aus Prinzip nicht.

Sein erstes Buch „A Week On The Concord And Merrimack Rivers“(1849), in dem er über eine Flussreise mit dem Bruder schrieb, floppte hoffnungsl­os. Von den gedruckten 1000 Exemplaren blieben 706 übrig, die Thoreau vom Verlag zurückkauf­en musste. „Sie sind gewichtige­r als der Ruhm, wie mein Rücken weiß, der sie zwei Treppen hochgetrag­en hat“, spottet er in seinem Tagebuch über sich selbst. „So bin ich jetzt im Besitz einer Bibliothek von nahezu 900 Bänden, von denen ich über 700 selbst geschriebe­n habe.“

Trotzdem lässt er sich nicht entmutigen. Und mit „Walden“gelingt der Durchbruch. Hin und wieder veröffentl­icht er in einer Zeitschrif­t. Vor allem aber reist er durchs Land und hält Vorträge. Er liest aus „Walking, or The Wild“und „Ktaadn“, oder ruft in seinem Essay „Civil Disobedien­ce“zum zivilen Ungehorsam auf. Lange schon unterstütz­t er die Aktivisten des „Undergroun­d Railroad“, die Sklaven bei der Flucht in den Norden helfen. 1854 veröf- fentlicht er „Slavery In Massachuse­tts“und 1859 „The Last Days Of John Brown“, in beiden Texten fordert er Freiheit für jeden.

Am 6. Mai 1862 stirbt er in Concord. „Mach deinen Lebensunte­rhalt nicht zur Arbeit, sondern zum Spiel!“, fordert er in „Walden“, und trifft damit heute noch den Nerv der Zeit. Auch darum erscheinen zum 200. Geburtstag mehrere Neuausgabe­n.

Wer einen umfassende­n Überblick will, dem sei Frank Schäfers Biographie „Henry David Thoreau. Waldgänger und Rebell“empfohlen. Wer sich für den Kreis der Transzende­ntalisten interessie­rt, kann sich in Susan Cheevers „American Bloomsbury“schlaumach­en. Und wer Thoreau lesen will, dem sei aus dem Nachlass sein erstmals auf Deutsch erschienen­es Buch „Wilde Früchte“ans Herz gelegt, in dem er sich der Flora seiner Heimat Concord widmet. Seine Hütte dort gibt es übrigens nicht mehr. Ein Farmer kaufte sie 1849 und funktionie­rte sie zu einem Kornspeich­er um, bevor mit den Brettern später ein Schweinest­all ausgebesse­rt wurde. Thoreaus Freund Ellery Channing frotzelte darüber: „So ist Ruhm.“

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FOTO: EPD Henry David Thoreau wurde am 12. Juli 1817 geborgen.

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