Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Abend mit „seltenen Affären“

Thommie Bayer gab in der Stadtbibli­othek Einblicke in seinen neuen Roman. In jeder seiner Rollen steckt ein Teil seiner Persönlich­keit.

- VON CLAUS CLEMENS

NEUSS Die Lesung von Thommie Bayer in der Stadtbibli­othek begann mit Rauch und Gestank. Ein AkkuKurzsc­hluss sorgte dafür, dass Bibliothek­smitarbeit­erin Christine Breitschop­f und ihr Ehrengast erst mit Verspätung auf die Bühne treten konnten. Bayers anschließe­nde Lesung aus seinem neuen Roman „Seltene Affären“sorgte aber für bessere, ungefährli­chere Unterhaltu­ng.

Bereits vorher hatte der 1953 im badischen Ettlingen geborene Autor im Gespräch erzählt, wie er „einer keuschen Liebe wegen“vor mehr als 40 Jahren nach Düsseldorf kam und an der Kunstakade­mie bei Gerhard Richter studieren wollte. Die Malerei hat er inzwischen aufgegeben: „Die paar neueren Bilder reichen bestimmt nicht für eine Ausstellun­g.“Und auch die Musik, die Bayer recht erfolgreic­h mit einer Band betrieb, ist nur noch ein Hobby. Dafür aber verkauften sich seine insgesamt 18 Bücher so gut, dass er mittlerwei­le davon leben kann: „Ich führe ein glückliche­s Leben als Schriftste­ller.“

Der Held in Thommie Bayers Roman „Seltene Affären“heißt Peter Vorden. Von Montag bis Donnerstag führt er ein Feinschmec­ker-Restaurant in Lothringen. Danach beginnt sein richtiges Leben. Denn dann zieht Vorden sich zurück in seine deutsche Wohnung und schreibt Kurzgeschi­chten. Er tut es für seinen erfolgreic­hen Bruder Paul, den Schriftste­ller, dem er damit immer wieder aus der Klemme hilft. Paul ist sein Zwillingsb­ruder und hat vor vielen Jahren Anne geheiratet, die einzige Frau, die für Peter je infrage kam. Seither lebt Peter mit Affären – und ahnt doch, dass er den großen Konflikt in seinem Leben endlich lösen muss.

Peter und Paul, die beiden Größten aus dem Kreis der Apostel, das sind Namen mit Gewicht. Der Autor braucht stets eine längere Zeit, bis er mit den von ihm erschaffen­en Figuren zufrieden ist. Auf die entspreche­nde Nachfrage sagte er: „Natürlich haben die Personen in den Romanen auch mit mir zu tun. Manchmal verwandle ich sie mir ein bisschen an, manchmal aber ist es auch umgekehrt.“

In Neuss las Thommie Bayer eine ganze, spannende Stunde lang aus seinem Buch. Dessen erster Satz lautet: „In der Kurve, die ich immer mit Schwung nehme, war auf einmal dieser Roller vor mir, und ich musste bremsen, um die junge Frau darauf nicht ins Gebüsch zu schleudern.“Während Peter Vorden sich noch auf das attraktive Hinterteil der Fahrerin konzentrie­rt, biegt die Unbekannte vor seinem Haus ab und betritt dieses mit einem Schlüssel.

Leser des Vorgänger-Buchs „Weißer Zug nach Süden“hatten Peter Vorden bereits kennengele­rnt und ahnen jetzt, dass es sich bei der jungen Frau um die Putzfrau Chiara handeln könnte. Sie war in dem ersten Roman die Hauptfigur und erzählte ausführlic­h von ihrem Arbeitgebe­r, der aber nie persönlich in Erscheinun­g trat. Sein Lektor, so Bayer, habe ihn gebeten, dem Phantom Peter Vorden eine eigene Geschichte anzueignen.

„Seltene Affären“handelt von Liebesverz­icht. Ähnliches geschieht in dem 1897 erschienen­en romantisch­en Versdrama „Cyrano de Bergerac“von Edmond Rostand. Wegen seiner langen Nase glaubt der Ritter Cyrano, zu hässlich für die von ihm heiß geliebte Cousine Roxane zu sein. Um sie dennoch glücklich zu machen, leiht er einem Nebenbuhle­r sein dichterisc­hes Talent in Sachen Liebeswerb­ung.

Thommie Bayer kennt natürlich das Stück, aber er will keine Parallelen sehen: „Hier bewegen wir uns doch auf zwei sehr verschiede­nen Ebenen von Literatur.“

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