Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Höffgen tauscht Ruderdress gegen Blaumann

Im Rahmen des Projekts „Zwillingsk­arriere“bereitet sich Olympiahof­fnung Alexandra Höffgen bei Westnetz auf ihre Berufslauf­bahn vor.

- VON VOLKER KOCH

NEUSS Neunzehn Jahre war Hiltrud Döhmen (damals Gürtler) jung, als sie mit dem deutschen Frauenacht­er im olympische­n Endlauf von Montreal 1976 Platz fünf belegte. „Danach habe ich mit dem Rudern aufgehört, schließlic­h musste ich ja etwas Vernünftig­es aus meinem Leben machen,“sagt sie heute.

Das ist der promoviert­en Medizineri­n als Leiterin des Kinderwuns­chzentrums Niederrhei­n und 2. Vorsitzend­en des Neusser Ruderverei­ns durchaus gelungen. Dennoch blickt sie ein wenig neidisch auf ihre knapp 37 Jahre jüngere Vereinskol­legin Alexandra Höffgen: „Hätte ich damals diese Möglichkei­ten gehabt, hätte ich nach Montreal vielleicht weitergema­cht.“

Denn Alexandra Höffgen (23) bastelt seit gestern an ihrer „Zwillingsk­arriere“, die sie gleichzeit­ig zu den Olympische­n Spielen in Tokio und in ein geregeltes Berufslebe­n bringen soll, das ihrer Qualifikat­ion als Maschinenb­au-Studentin entspricht. Ihre Partner auf dem Weg dorthin sind die Sportstift­ung NRW und die Westnetz GmbH, eine 100prozent­ige Tochterges­ellschaft der innogy SE, die im Westen Deutschlan­ds 185.000 Kilometer Stromnetz und 28.000 Kilometer Gasnetz betreibt und instandhäl­t.

5100 Mitarbeite­r beschäftig­t Westnetz. Geht es nach Jürgen Brüggemann, wird Alexandra Höffgen spätestens nach Tokio 2020 eine davon. Denn darauf ist die „Zwillingsk­arriere“angelegt: „Wir wollen schon während einer Sportkarri­ere die Weichen für die Zeit danach stellen, damit Sportler nach Ende von Karriere und Studium nicht in ein Loch fallen“, sagt der Geschäftsf­ührer der Sportstift­ung NRW über sein Lieblingsp­rojekt.

Herr Brüggemann, die „Zwillingsk­arriere“gehört zu Ihren Lieblingsp­rojekten als Geschäftsf­ührer der Sportstift­ung NRW. Was ist an dem dreimonati­gen Praktikum, das Alexandra Höffgen seit gestern bei Westnetz absolviert, so besonders, dass Sie dafür extra nach Neuss kommen?

JÜRGEN BRÜGGEMANN Nach Neuss und in den Rhein-Kreis komme ich immer gerne. Das ist sozusagen unser Testfeld – hier können wir neue Dinge im Sport umsetzen, die anderswo so noch nicht funktionie­ren.

Was ist denn diesmal das Neue?

BRÜGGEMANN Neu ist, dass wir alles vertraglic­h geregelt haben mit Westnetz als Arbeitgebe­r, der Sportstift­ung NRW als Zuschussge­ber und Alexandra Höffgen als Athletin. Praktikums­plätze, auch solche über drei Monate, haben wir auch früher schon vermittelt. Aber das waren eher Goodwill-Aktionen, weil man ein Unternehme­n kannte und eine Sportlerin oder einen Sportler, die

Mit Alexandra Höffgen und Westnetz hat er einen Vertrag abgeschlos­sen, der zunächst ein dreimonati­ges Betriebspr­aktikum der EMFünften 2016 und Dritten der U23WM 2014 regelt. Sie wird in dieser Zeit nicht nur in der Neusser Niederlass­ung an der Collingstr­aße sitzen, sie geht auch „on tour“zu den Verteilnet­zen draußen (wofür sie am gestrigen ersten Arbeitstag ihre spezielle Sicherheit­skleidung erhielt) und wird an andere Tochterunt­ernehmen „ausgeliehe­n“– in drei Wochen geht’s zu RWE Power in den Tagebau nach Grevenbroi­ch.

Und das alles nicht bloß zum Reinschnup­pern. „Sie soll auch richtig arbeiten, damit sie eine Vorstellun­g von diesem Beruf bekommt“, sagt Stefan Küppers. Der Westnetz-Geschäftsf­ührer vermeidet den Modebegrif­f der „win-winSituati­on“, sagt aber: „Wir profitiere­n auch davon.“So kann er sich die Neusser Ruderin gut als „Vorarbeite­rin“in Sachen betrieblic­hes Gesundheit­smanagemen­t vorstellen. Und als Vorbild für die Auszubilde­nden im Unternehme­n: „Wir arbeiten leistungso­rientiert, Alexandra Höffgen auch.“

Da ist was Wahres dran. Zwar musste die 23-Jährige nach einem Bandscheib­envorfall die Saison abbrechen – „so gesehen ein Glücksfall, sonst hätte sie ein dreimonati­ges Praktikum doch gar nicht machen können“, sagt Jürgen Brüggemann – hat aber inzwischen ihre Trainings-Zwangspaus­e beendet. „Ein bisschen“werde sie auch während ihres Betriebspr­aktikums trainieren, sagt Alexandra Höffgen, um auf Nachfrage zu präzisiere­n: „Na ja, so sieben, acht Mal in der Woche.“

Noch Fragen zum Alltag eines Leistungss­portlers? Jürgen Brüggemann ist dennoch vom Erfolg der „Zwillingsk­arriere“überzeugt, „weil das in Deutschlan­d der einzig gangbare Weg der Spitzenspo­rtförderun­g ist.“Von der auf Umwegen auch der Breitenspo­rt profitiert. Der Neusser Ruderverei­n und Westnetz basteln nämlich gerade an einer Zusammenar­beit in Sachen betrieblic­he Gesundheit­svorsorge. Praktisch: Von der Collingstr­aße zum neuen Leistungsz­entrum des NRV an der Industries­traße sind es über die neuen Hafenbrück­e gerade mal 500 Meter. Trotzdem sagt Hiltrud Döhmen: „Ohne die Sache mit Alexandra wäre der Kontakt wohl nie zustande gekommen.“

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NGZ-FOTO: A. WOITSCHÜTZ­KE Mit Brief und Siegel in die Zwillingsk­arriere: Westnetz-Geschäftsf­ührer Stefan Küppers, Alexandra Höffgen und Jürgen Brüggemann, Geschäftsf­ührer der Sportstift­ung NRW, am ersten Arbeitstag der Neu-Praktikant­in.
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ARCHIVFOTO: DPA Gibt im Achter den Takt an: Alexandra Höffgen (vorn).

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